Der 1. Teil unseres Beitrags „Die Zukunft des Journalismus“ beschäftigte sich mit den Themen MoJo – mobiler Journalismus, Multimediales Storytelling und Bürgerjournalismus. Dieser 2. Teil konzentriert sich auf die Trends Kuratierte Geschichten, Datenjournalismus und Slow Media.

4. Kuratierte Geschichten

Menschen erzählen in sozialen Medien tagtäglich Millionen interessanter Geschichten. Doch nicht jede Enthüllung basiert auf wahren Begebenheiten. Und nicht jeder Kommentar zu einer bestimmten Story wird entdeckt und gelesen. Hier kommen neue Dienste und journalistische Darstellungsformen ins Spiel. Sie strukturieren die Varianten des Bürgerjournalismus. Und überprüfen nutzergenerierte Inhalte auf Relevanz und Authentizität.

Storify beispielsweise sammelt und bereitet Kommentare und Links aus dem Web auf. Jeder Nutzer kann so Inhalte aus unterschiedlichen Quellen in seine Berichterstattung einbinden – ohne besondere Programmierkenntnisse. Storify sammelt die gewünschten Informationen auf Twitter, Facebook, YouTube, Flickr, Google+, Instagram, Tumblr oder Soundcloud. Nutzer-Reaktionen verwandeln sich mit Storify in neue, spannende Feedback-Geschichten. Mit Hilfe des Dienstes verfolgen Autoren auch die Entwicklung eines Themas in den sozialen Medien. Oder Leser-Reaktionen auf eine Pressemeldung.

Die französische Nachrichtenagentur Citizenside und die irische Agentur storyful haben sich darauf spezialisiert, Augenzeugenberichte im Web auf Echtheit zu überprüfen. Dann sichern sie sich die Rechte und verkaufen die verifizierten Bilder und Videos an Medien in aller Welt. Die Themen reichen von Boulevard bis Politik. Für die Urheber der Videos und Bilder, also die Bürgerjournalisten gibt’s ein marktübliches Honorar.

5. Datenjournalismus

Früher interpretierten Datenjournalisten das Wetter oder Wahlergebnisse. Heute recherchieren und analysieren sie riesige Datenmengen zu vielfältigen Themen – immer mit konkreten, nützlichen Informationen für die Öffentlichkeit.

Ein Beispiel liefert die gemeinnützige Organisation ProPublica aus den USA. In ihrem Beitrag Dollars for Docs können Patienten online überprüfen, ob ihr Hausarzt Geld von der Pharmaindustrie erhielt und im Gegenzug möglicherweise bestimmte Medikamente vorrangig verordnet hat. Dazu sammelten Journalisten 3 Jahre lang umfangreiche Daten aus zahlreichen Quellen.

Oftmals sind Datenjournalisten 1 bis 2 Jahre mit einer großen Story beschäftigt. Sie tragen Daten zusammen und überprüfen dann, ob diese korrekt und auch vergleichbar sind. Erst dann stellen sie ihr Datenmaterial in einen größeren, aussagekräftigen Zusammenhang.

Auch deutsche Medien nutzen die Kraft des Datenjournalismus. Zeit online und Berliner Morgenpost, aber auch kleinere Redaktionen wie die Heilbronner Stimme werten große Datenmengen aus und erzählen daraus spannende Geschichten. Das sind z. B. ein Bericht über Leerflüge ab Berlin oder ein Talkie zur Operation Sawfish in Heilbronn.

6. Slow Media

Parallel zu den kurzen, knackigen News für mobile Nutzer erleben lange Geschichten eine Renaissance. Sie galten lange als Markenzeichen des traditionellen Print-Journalismus. Mittlerweile erobert dieser Langform-Journalismus das Web.

Eines der erfolgreichsten Medien-Start-ups auf diesem Gebiet heißt narrative.ly. Seit 2012 veröffentlicht die Online-Plattform Geschichten von unbekannten Menschen – jenseits der üblichen Schlagzeilen. narrative.ly konzentriert sich auf „slow storytelling“, das langsame Erzählen von Geschichten. Pro Woche wird 1 Thema behandelt, pro Tag 1 Story veröffentlicht. Im Fokus stehen Themen, die die Mainstream-Medien übersehen. Jeder Autor bekommt den Raum und die Zeit, um mit seiner Story Eindruck zu machen. Je nach Thema findet man auf der Plattform zusätzlich kurze Erzählungen, Videos oder Bildergeschichten.

Auch das US-amerikanische Start-up Byliner schafft online eine Lesekultur in exzessiver Länge. Byliner ist eine Online-Plattform für lange Lesestücke aus Magazinen und Büchern, für originäre Essays, Aufsätze, Meinungsstücke und Erzählungen. Texte sind dort ganze 10.000 bis 35.000 Wörter lang. Geschrieben werden sie von bekannten und weniger bekannten Autoren. 2011 startete das Unternehmen mit “Three Cups of Deceit” von Bestseller-Autor Jon Krakauer. 2012 gewann sie die New York Times als Partner. Doch die Neuentdeckung der Langsamkeit und die Wertschätzung des investigativen Qualitätsjournalismus gerät 2014 finanziell ins Trudeln. Byliner wird im September 2014 von dem E-Book-Unternehmen Vook gekauft.

Deutschland hat seine eigenen Online-Plattformen für Journalismus in Langform. Weeklys ist eine davon. Sie wurde 2013 gegründet von Journalist Jasper Fabian Wenzel. Er kuratiert lange, gut recherchierte Reportagen, Porträts und Essays von Reportern aus ganz Europa. Das Geld für den Launch erwarb er durch Crowdfunding auf Krautreporter.de. Heute finanzieren kostenpflichtige Abonnements den Alltagsbetrieb von Weeklys.

Fazit

Der Journalismus befindet sich in einem revolutionären Wandel. Viele neue Ideen sprießen. Manche wachsen und gedeihen, andere blühen nur eine Saison lang. Viele Entwicklungen verschmelzen miteinander wie z. B. Qualitätsjournalismus und Slow Media. Letztendlich wird die Zeit zeigen, welche Entwicklungen sich vom Trend zum Mainstream mausern. Doch eines ist sicher: Es bleibt spannend.

 

Quellen:

Jana Gioia Baurmann, Weeklys: Langsamer, bitte!, 13.11.2013

Stefan Heijnk, Wie Sie das Snowfall-Layout der New York Times auf Ihre Site bringen, 2012

Leif Kramp | Stephan Weichert, Innovationsreport Journalismus: Ökonomische, medienpolitische und handwerkliche Faktoren im Wandel, 2012, Friedrich-Ebert-Stiftung

Lorenz Matzat, Interview mit Datenjournalist Julius Tröger, 19.1.2015

Laura Hazard Owen, Byliner gone bad and the business of longform journalism on the web, 4.7.2014

Daniel-C. Schmidt, Zukunft des Journalismus: Nachrichtenmacher von nebenan, 2.7.2013

Mike Schnoor, Digitaler Wandel: Auswege aus dem Zeitungssterben?, 3.1.2013

Moritz Stückler, Multimedia-Storytelling: Diese 25 beeindruckenden Artikel musst du gesehen haben, 7.12.2013

Vanessa Wormer, Wie unser Talkie zur Operation Sawfish entstand

Volker Schütz, FAZ: Digitale Zeitung kommt im Spätherbst, 16. April 2015

Volker Schütz, Warum die Tageszeitung zum Hoffnungsträger der Digitalstrategie wird, 20. April 2015

tagesschau.de, 150 Millionen Euro für Verlage: Googles Charmeoffensive, 28.04.2015

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