Im Dezember reiste ich nach San Francisco. Wieder in Berlin, traf ich mich abends mit einem Freund zum Essen. Das Restaurant lag nur ein paar Bahn-Stationen entfernt. Und da es mit dem Verkehr in der Hauptstadt so eine Sache ist, nahm ich die Bahn. Die Hinfahrt verlief problemlos. Kurz vor der Rückfahrt dann der Hinweis: Der Zug fällt aus, Wartezeit 20 Minuten. Im Dezember an einem kalten Bahnhof ganz schön lange, aber rund 25 Euro war mir die Taxifahrt auch nicht wert.

Innovative Personenbeförderung

In diesen 20 Minuten sehnte ich mich nach Lyft. Das Unternehmen aus San Francisco stellt mit seiner gleichnamigen App ein Personen-Beförderungs-Netzwerk bereit. Wie bei einem Taxi-Unternehmen ordert man ein Fahrzeug. Über die Funktion „Line“ kann man auch gemeinsame Fahrten unter Nutzern buchen.

Auf den ersten Eindruck nicht spektakulär – Uber hat mit seiner „Pool“-Funktion dieses Konzept nachgebaut. Aber auf den zweiten Blick ist Lyft spannend, revolutionär und kann in größeren Städten viele Probleme der heutigen Zeit lösen.

So funktioniert Lyft

Lyft unterscheidet zwischen zwei Gruppen von Nutzern:

  • Fahrer, die ihr eigenes Auto und somit Fahrdienstleistungen bereitstellen
  • Nutzer, die Fahrten buchen

Als Nutzer öffne ich die Lyft-App und tippe ein, wo ich hinfahren möchte. Ein Algorithmus fragt Fahrer in der Nähe, ob sie die Fahrt annehmen möchten. Wenn ja, sehe ich den aktuellen Standort des Fahrers. Soweit nichts Neues. Das Produkt ähnelt dem von MyTaxi und anderen Anbietern. Interessant wird die App durch die „Line“-Funktion, über die unterwegs weitere Mitfahrer eingesammelt werden.

Leerfahrten? Wozu?

Die App vergleicht Start und Ziel. Dann optimiert sie die Route so, dass keine Leerfahrten mehr stattfinden. Der Nutzer nimmt eine minimal längere Fahrt in Kauf, lernt nebenbei neue Menschen kennen und zahlt am Ende deutlich weniger als mit einem Taxi. Denn Lyft teilt die Kosten flexibel und ohne weiteres Zutun unter allen Mitfahrern.

Während einer Fahrt steigen neue Mitfahrer zu, andere aus. Statt 25 Euro für das Berliner Taxi hätte mich die Fahrt mit Lyft höchstens 10 Euro gekostet. Das Geld geht per App an Lyft und von dort an den Fahrer.

Typisch deutsche Zweifel

In San Francisco bin ich nur freundlichen Fahrern begegnet. Oftmals boten sie mir sogar Snacks oder Wasser an, wofür sie als Gegenleistung ein höheres Trinkgeld bekamen. Immerhin sparte ich mehr als 50 % der Kosten für ein Taxi.

Meine Bekannten in Deutschland beäugen Lyft in der Regel skeptisch. Die häufigsten Fragen und Einwände lauten:

  1. Hast Du keine Angst, bei Privatpersonen mitzufahren?
  2. Wenn Du so wenig zahlst, verdienen die Fahrer überhaupt noch etwas?
  3. Hör auf mit dem Schnickschnack. Wir haben Taxen, das reicht doch!

All diese Aussagen sind typisch deutsch. Und wohl auch der Grund dafür, warum die meisten mobilen Innovationen aus den USA kommen. Die San Francisco Bay Area ist extrem liberal. Deutschland dagegen vorsichtig und gehemmt gegenüber derartigen Innovationen.

Deutsche Wettbewerbs-Bremse

Beide Extreme haben ihre Vor- und Nachteile. Im internationalen Wettbewerb bremsen wir uns jedoch aus. Statt Fortschritt zu fördern, werden junge Unternehmen mit hohen Auflagen konfrontiert.

Auf den jüngsten Veranstaltungen zu modernen Finanz-Technologien (FinTech-Meetups) drehen sich die meisten Diskussionen um Auflagen von der BAFin. Um Datenschutz. Und um die Frage, ob deutsche Finanz-Start-ups besser nach London auswandern sollten. Am dortigen Finanzmarkt geht es deutlich liberaler zu, wodurch schneller Fortschritte erzielt werden können. In Deutschland dagegen müssen sich junge Unternehmen erst eine gefühlte Ewigkeit mit der Bürokratie auseinandersetzen. Lyft in Deutschland? Undenkbar!

Gute Gründe für Lyft

Warum sollten wir uns also nicht einmal genauer mit Lyft und deren Geschäftsmodel auseinandersetzen? Es gibt nur Gewinner:

  • Fahrten via Lyft schonen den Geldbeutel.
  • Lyft-Fahrer verdienen ca. 20–30 US-Dollar pro Stunde. Taxifahrer in Deutschland kämpfen mit dem Mindestlohn, lehnen Uber aber aus Konkurrenzangst ab. Nebenbei: Viele Taxifahrer wechselten in den Staaten übrigens zu Lyft oder Uber.
  • Lyft-Fahrer können sich ihre Arbeitszeiten flexibel einteilen.
  • Die Autoflut auf den Straßen der Großstädte wird weniger, da die Einwohner kaum noch Bedarf an einem eigenen Auto haben.
  • Durch weniger Autos auf den Straßen wird die Umwelt geschont, Staus vermieden. Menschen haben mehr Freizeit.
  • Alle Fahrer werden von Lyft überprüft und brauchen Gewerbescheine.
  • Unfallschäden sind pauschal mit 1.000.000 US-Dollar zusätzlich zur Fahrer-eigenen KFZ-Haftplichtversicherung versichert.
  • Die Staatskasse profitiert von zusätzlichen Steuereinnahmen, da die Personenbeförderung einen zusätzlichen Aufschwung erhält.

Probieren geht über studieren

Wir müssen aufhören, Dinge zu verurteilen, die wir nicht kennen. Ein Beispiel sind die Proteste gegen Uber, bevor das Unternehmen überhaupt nach Deutschland kam. 99 % der Kritiker haben diesen Service nie genutzt. Sie reden Probleme groß, statt Lösungen zu entwerfen.

Wir müssen mehr riskieren. Denn Stillstand bedeutet Rückschritt. Wenn wir in der heutigen Zeit bei der jetzigen Geschwindigkeit mithalten wollen, sollten wir offener für Neues sein und Innovationen fördern.

Lyft als Paradebeispiel

Ich werbe nicht für Lyft und appelliere auch nicht für die Abschaffung von Taxis. Diese haben durchaus ihre Berechtigung – auch noch in San Francisco. Lyft ist daher nur ein Beispiel. Dafür, dass wir erst über den Tellerrand schauen sollten, bevor wir uns eine Meinung bilden.

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