Erinnern Sie sich noch an Ihren 7. Geburtstag? Wahrscheinlich geht es Ihnen wie mir und Sie bekommen mit Glück gerade noch die Namen der Geburtstagsgäste zusammen. An ein Detail kann ich mich jedoch sehr gut erinnern. Es ist ein Spiel, das ich dort zum ersten Mal kennengelernt habe und das meinen Weg noch häufiger kreuzen sollte – die Schnitzeljagd.

Für mich wurde mein Geburtstag damit zu einem echten Abenteuer. Wie ein kleiner Indiana Jones spürte ich einen Hinweis nach dem anderen auf. Kombinierte sie miteinander, dekodierte Schriften, löste Rätsel. Und gelangte schließlich zum Ziel des Spiels.

Fesselnde Geschichten

Heute weiß ich, was den Reiz solcher Schnitzeljagden, auch Scavenger Hunts genannt, ausmacht: Sie sind eine Form des Interactive Storytelling. Sie binden den Nutzer aktiv in eine Geschichte ein und erlauben ihm, verschiedene Wege einzuschlagen und damit sein eigenes Abenteuer zu erleben. Aus einer einfachen Story leiten sich zahlreiche einzigartige Erzählstränge ab, über die er zum vordefinierten Ziel kommt. Dieses „Branching Path“-Modell finden wir nicht nur bei Videospiel-Klassikern wie Monkey Island oder beim Geocaching. Es bildet auch das Fundament für die Zukunft des Erzählens.

Die logische Konsequenz: Transmedia Storytelling

Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte Lothar Meggendorfer das Pop-up-Buch und damit die erste Form des interaktiven Storytelling. Obwohl das ein entscheidender Schritt zu den heutigen Erzählformen war, boten sich dem Leser des Buchs nur wenige Interaktionsmöglichkeiten.

Erst die Entwicklung von digitalen Medien erlaubte die Ausarbeitung des interaktiven Storytelling. Statt eine Geschichte wie eine lineare Abfolge von Ereignissen zu behandeln, fragte man sich nun: Wie kann das Publikum mit der Geschichte interagieren? Und muss die Geschichte überhaupt linear erzählt werden?

So entstanden mit der Zeit 6 Ausprägungen des interaktiven Geschichtenerzählens. Sie reichen von einem geringen Grad an Interaktivität bis zur vollkommenen Freiheit des Nutzers, die Geschichte zu gestalten.

Besonders spannend ist dabei das bereits angesprochene Schnitzeljagd-Modell. Im Zuge der Medienkonvergenz ist daraus das transmediale Erzählen entstanden: Die verschiedenen Erzählpfade einer Geschichte werden in unterschiedliche Kanäle ausgelagert. Hangelte ich mich an meinem Geburtstag noch von Schnipsel zu Schnipsel, so sind es heute Hinweise und Erzählabschnitte in sozialen Netzwerken, in Büchern und auf Websites, die eine einzigartige User Experience formen.

Lost – eine bahnbrechende Serie

Das Fernsehen ist eines der ersten Medien, das Inhalte cross- und transmedial verteilt. Ein besonders erfolgreiches Beispiel liefert die Serie Lost: Die Folgen sind mit Querverweisen gespickt und intelligent mit der Hauptgeschichte verknüpft. Darüber hinaus wurden über das Internet 13 Mini-Episoden veröffentlicht, die narrative Lücken in den ersten 3 Staffeln füllten

Zusätzlich erschufen die Macher ein Alternate Reality Game (ARG) namens The Lost Experience: In dem Spiel wurden Ereignisse in der Sendung und reale Erlebnisse bewusst verwischt. So erhielten fiktive Unternehmen aus der Serie echte Homepages, auf die der Zuschauer über Spots in den Werbepausen von Lost gelangte. Video-Podcasts wurden veröffentlicht, in denen eine Frau versuchte, die Machenschaften der in Lost existierenden Hanso Foundation aufzudecken. Sogar Bücher von fiktiven Charakteren wurden in der Realität veröffentlicht.

Andere Serien wie Dexter entwickelten ebenfalls ARGs. Fans der Serie konnten Hinweise auf Websites und Live-Events verfolgen und wurden sogar u. a. auf ihrem Telefon angerufen, um Tipps zum Aufenthalt eines erdichteten Serienmörders zu erhalten.

Geschichten Wirklichkeit werden lassen

Natürlich muss Transmedia Storytelling nicht immer mit so einem großen Aufwand betrieben werden, wie ihn nur eine langjährige Serie rechtfertigt. Wichtig ist lediglich, dass das Publikum mittels der geschickten Verteilung der Story auf unterschiedliche Kanäle eingeladen wird, die Geschichte auf unnachahmliche Weise zu erleben.

Kinofilme generieren heute mit einem einzigen Marketing-Stunt eine nie dagewesene Aufmerksamkeit (siehe unseren Bericht über wahrgewordenen Telekinese-Horror zum Film Carrie). Theater gewinnen ein junges Publikum für Aufführungen, indem Effie Briest & Co. vorab echte Tweets senden und Pinterest-Wände füllen. Verlage erstellen reale Websites für die Romanfiguren künftiger Bestseller. Und für Videospiele wie Watch Dogs wird geworben, indem das Hacking-Spiel mit etwas technischer Spielerei Wirklichkeit zu werden scheint.

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Wie der Schriftsteller Salman Rushdie bereits sagte: „Die Kunst der Fiktion besteht darin, Dinge zu erfinden, die nicht wahr sind. Aber man muss sie so erfinden, dass sie wahr werden.“

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