Grafiken auf Fotos

Du bist müde von den Billionen Fotos und KI-gene­rierten Motiven, die täglich über klassische, digitale und soziale Medien über uns schwappen? Wir auch. Um diesem visuellen Einheitsbrei zu entkommen oder aus der Masse herauszustechen, ist dieser Trend quasi aus der Not geboren: grafische Elemen­te gegen die Langeweile erwartbarer Motive. Kleine Scribbles und Doodles, mehr Fingerübung als aus­gearbeitete Illustration, naiv oder reduziert, aber stets routiniert und professionell. Sticker in den Social Apps machen es bereits vor. Grafiken auf Fotos können noch mehr zur Identität einer Marke beisteuern als so manches ausgefeilte aber schlecht umgesetzte Bildsprachmanual. Also: Heißen wir den neuen Designtrend herzlich willkommen und reichern unsere Motive mit smarten Grafiken an.

Grafiken auf Fotos

 

Anti-Design

Eine alte Designweisheit lautet „Lerne die Regeln und brich sie“. Und so geht es auch mit diesem Trend: Aufgeräumte Textbühnen weichen wild durchmischten Versatzstücken, vorher sorgfältig ausgerichtete Bildelemente sind jetzt willkürlich platziert und visuelle Hierarchien scheinen auf­gelöst. Farben, Typografie, Raster … alle bisherigen Regeln sind außer Kraft gesetzt und werden neu gespielt.

Daneben erblühen Elemente, die man vielleicht aus analogen Reisetagebüchern kennt: Ausgeschnittene oder ausgerissene fremde Grafiken, Buchstaben oder Wortfragmente, kleine Handskizzen und Kol­lagenmaterial erinnern an Scrapbooks oder bunte Fanzines.

Und sind die Inhalte darum schwerer erfassbar als im strengen Reglement statischen Designs? Jein – vielleicht muss man sich nun länger und aktiver mit einer Seite auseinandersetzen, aber das kann den Absender*innen ja nur lieb sein. Anti-Design inszeniert die Inhalte auf jeden Fall spannender und sagt: hier ist Innovation, hier werden Proble­me anders gedacht, neu bewertet und unorthodox gelöst.

Anti-Design

Bold Minimalism

Kann ein Design mit nur zwei Farben, einer Schrift­art und einem Keyvisual bestehen? Bold Minima­lism sagt und beweist: ja. Unter drei Bedingungen:

1. Die Farben müssen sich vom Farbspektrum des Alltags deutlich und mutig abheben.

2. Die Typografie drängt sich selbstbewusst in den Vordergrund.

3. Das Keyvisual ist zwingend eine starke geomet­rische Form, gestalterisch autark, prägnant und vielseitig.

Das Bold darin steht nämlich für wagemutig, tapfer, selbstbewusst. Bisher ist Bold Minimalism vor allem bei Museen, Theatern und anderen Kultur­veranstaltern verbreitet, weil es durch sein freies Spiel von Farbe, Form und Typografie kongenial die vielfältigen und häufig wechselnden Angebote visualisieren kann. Bold Minimalism und Corpo­rate Design schließen sich übrigens nicht gegen­seitig aus, sondern können wirksam aufeinander aufbauen. Der Designtrend eignet sich daher für alle Unternehmen, die Vielfalt, Neuheiten oder Veränderung wirksam und visuell kommunizieren wollen – nach außen und nach innen.

Bold Minimalism

Vision OS und Spatial Computing

Seit Sommer 2024 ist die Vision Pro von Apple er­hältlich und mit ihr das neue Betriebssystem Vision OS. Nutzenden wird eine perfekte „Mixed Reality“ versprochen. Virtual Reality meets Augmented Reality, erweitert um Künstliche Intelligenz und die Digitalisierung der Interaktion zwischen Mensch, Maschine und Objekt – ergibt Spatial Computing. Bekannte Anwendungen werden im Raum erlebbar gemacht und durch neue Features erweitert. Fotos können dreidimensional betrachtet werden, die Steuerung erfolgt über Gesten. All dies setzt neue Herausforderungen an das Design von User Inter­faces, deren Lösungen sicher auch wieder Einfluss auf andere Anwendungen haben werden. In jedem Fall müssen sich Designer*innen verstärkt mit der Gestaltung und Interaktion im dreidimensionalen Raum vertraut machen, um den neuen Anforderun­gen gerecht zu werden. Auch wenn es sicher noch etwas dauern wird, bis Geräte wie die Vision Pro auch in der Breite der Bevölkerung ankommen.

Vision OS + Spatial Computing

Vision OS: Gestensteuerung im Raum erfordert neue Skills bei Interface-Designer*innen 

(© apple.com)

Solarpunk vs. Cyberpunk

Wenn wichtige Menschen Trends ausrufen, horchen wir auf. So geschehen im Frühjahr dieses Jahres, als der CEO von Figma, Dylan Field, das Phänomen „Solarpunk“ als Designtrend für die kommenden Jahre postulierte. Solarpunk versteht sich als Gegenbewegung zur eher dystopischen Ästhetik des „Cyber­punks“. Hier wird die Harmonie von Technologie und Natur, das Rückführen des Menschen von der Megapolis zu kleineren funktionalen Kommunen phantasiert und eine lebenswerte Utopie gezeichnet. Und tatsächlich schlägt sich der Trend bereits jetzt im Design nieder, wie etwa im Werbespot für die US-Joghurt-Marke „Chobani“ oder in Videospielen wie „Terra Nil“. Auch Produktdesigner*innen setzen auf organischere For­men wie der direkte Vergleich der E-Auto-Konkurrenten Tesla und Rivian zeigt. Nicht nur das Produkt selbst ist viel mehr Solarpunk, auch die Inszenierung des Rivian R3 ist wesentlich optimistischer und naturverbundener als die des Tesla Cyber­truck. Wir finden: Ganz schön smart, wow und vor allem grün!

Solarpunk

Ein deutlicher Unterschied zwischen Solar- und Cyberpunk.

(© tesla.com; thelineanimation.com/work/chobani)

 

TYPOGRAFIE 2025

Schräge Überschriften

Schöne Handschriften feierten vor Jahren ein Comeback mit dem Handlettering-Trend. Und was für Handgeschrie­benes galt, findet nun auch Einzug in das formale Kommu­nikationsdesign: kursive Schriften in bzw. als Überschrif­ten. Ursprünglich nur für die Kennzeichnung einzelner Wörter oder besonderer Textstellen gedacht, sind kursive Schriftschnitte schon lange fester Bestandteil einer jeden Schriftfamilie. Neu und spannend ist, dass sie jetzt aus ihrem Mauerblümchen-Dasein in Fließtexten oder als Bild­unterschrift herausgehoben werden. Förderlich für diesen Trend ist sicher die Überarbeitung traditioneller Schriften für neue Font-Technologien und das Mitdenken spannen­der Kursive bei zeitgenössischen modernen Schriften.

schräge Überschriften

Viva-la-Variable

Eine dieser Innovationen auf dem Schriftenmarkt ist die Variable-Font-Technologie. Sie ermöglicht es, aus einer ein­zigen Master-Datei stufenlos breite bis schmale und magere bis fette Schriftschnitte zu generieren. Kein Suchen mehr nach einem passenden Font, sondern einfach Anpassen im laufenden Designprozess. Und die Designer*innen lieben diese neuen Freiheiten: Als Typogramm oder innerhalb von Überschriften werden Laufweiten (condensed bis extended) und Gewicht (thin bis black) spielerisch kombiniert. Das resultierende Schriftbild wirkt dynamisch, aber immer noch harmonisch, weil auch sehr subtile Abstufungen und damit Grauwerte möglich sind.

Neben der Laufweite und dem Gewicht gibt es auch variable Fonts mit drei, vier und mehr dieser sogenannten Design- Achsen: Nützlich sind z. B. optischer Ausgleich für Über­schriften oder Fließtexte, Einstellung der Höhe der Klein­buchstaben, Neigungsgrad der Kursiven und vieles mehr.

Variable-Font-Technologie

Zugängliches Design

Durch die Einführung des BFSG rückt Barrierefreiheit – im Englischen viel positiver zu „Accessibility“, also „Zu­gänglichkeit“ übersetzt – in den Fokus der Design-Gemeinde. Auch für das visuelle Design hat das einige Konse­quenzen, die von vielen Kreativen als beengend wahrgenommen werden. Ei­nige Beispiele: Bereits bei der Entwick­lung eines Corporate Designs müssen mögliche barrierefreie Farbkontraste in der Farbpalette in der Gestaltung berücksichtigt werden. Spoiler-Alert: Gelb- und Orangetöne als Marken-Far­be sind – höflich formuliert – schwie­rig. Auch wir bei New Communication haben Kontrastprobleme mit unserem „Krassgrün“ in Kombination mit weiß. Zur Beruhigung: Logos müssen nicht zwangsläufig diese Kontraste aufweisen, da sie als „dekorative Elemente“ gelten. Dennoch empfiehlt es sich, Farbpaletten zukünftig zugänglich zu gestalten oder zu erweitern, anstatt sie ausschließlich an der Marke auszurichten. Auch die Semantik wird wichtig – selbst klassisch gestaltete PDFs, die von einer barriere­freien Website heruntergeladen werden können, müssen hierarchisch und semantisch einwandfrei aufgebaut sein, damit sie von assistierender Software korrekt interpretiert werden. Gleiches gilt natürlich auch für die Website selbst. Konsistente Navigation, Pause-Buttons für selbstablaufende Animatio­nen – dies und vieles mehr hat Einfluss auf das Aussehen der Bedienoberfläche. Wir möchten diese neuen Anforderun­gen als Chance auf wirkliche Inklu­sion begreifen, von der am Ende alle profitieren können. Für das Design von Beschilderungen hat sich der Produkt­zweig „taktile Leitsysteme“ etabliert. Unterschiedliche Relief-Oberflächen machen Landkarten fühlbar. Mit viel Kreativität werden so spannende Lösun­gen gefunden, die wirklich niemanden mehr ausschließen – dafür lohnt sich die Anstrengung dann doch!

zugängliches Design

In eigener Sache: Das Krassgrün von New Communication auf weiß fällt mit einem Kontrastwert von 1,6:1 leider durch. Agenthrazit auf Krassgrün erfüllt dagegen die Anforderungen der Konformitätsstufe AA.

Design-System-Update

Von uns anno 2019 als Trend ausgeru­fen, haben Design-Systeme mittlerweile tatsächlich nicht nur bei den ganz gro­ßen Marken den klassischen „Styleguide“ für die digitale Präsenz ersetzt. Auch im Verwaltungssektor sprießen Design-Sys­teme, ob zentralistisch „verordnet“ wie beim französischen Design-System oder auf kommunaler Ebene wie in Nieder­sachsen, Hamburg oder Berlin. Jedoch führt dies gerade in Deutschland zu einem gestalterischen Wildwuchs in den Online-Diensten. Daher haben sich die Länder Schleswig-Holstein und Ham­burg zusammengetan und arbeiten an dem gemeinsamen Projekt „KERN“, dem UX-Standard mit einem Design-System – bestenfalls – für ganz Deutschland. New Communication hat an der Entwicklung dieses UX-Standards zentral mitgewirkt. Aber warum so regional begrenzen? Brad Frost – der Vordenker des Atomic Designs – brachte Anfang 2024 sogar die Idee eines globalen Design-Systems ins Spiel. Es bleibt spannend, ob diese Vision abermals auf fruchtbaren Boden fällt. In jedem Fall besteht die Heraus­forderung, dass der Vereinheitlichung und Konsistenz, die Design-Systeme mit sich bringen, nicht die guten Ideen für innovatives Design zum Opfer fallen.

Designsysteme

Viele Länder setzen mittlerweile auf ein Design-System für alle behördlichen digitalen Auftritte. Mittendrin: KERN UX-Standard aus Deutschland. Und Eigenständigkeit trotz Vereinheitlichung: Das Design-System von WISE.

(© Kern design sytem italia; wise.design)

 

Dieser Artikel ist Teil unseres Trendspot 2025

 

 

Lutz ist Creative Director und Innovationsmanager bei New Communication. Seit Agentur-Gründung sorgt er für öffentliches Aufsehen mit wegweisenden Designs und Interfaces. Nebenbei lebt er seine Typographie-Leidenschaft aus. Definiert Corporate Designs. Leitet Kreativ-und Innovationsworkshops. Ist mehrfacher Fachbuch-Autor. Und generiert systematisch Ideen im Sekundentakt. Während Sie diesen Text lesen, waren es übrigens 15 neue.

Christian Klose

Christian ist Creative Director für Screendesign bei New Communication. Und trägt einen Nachnamen, der eine Menge über sein Talent aussagt. So gilt er in den Bereichen Website-Konzeption und User Experience als wahrer „Virtu-Klose“ und seine Entwürfe als „Klose to perfection“. Dafür, dass der gebürtige Bayer trotz des ganzen Lobs nur geografische Höhenflüge erlebt, sorgen seine drei Kinder. Die ziehen Papa an seinem langen Zopf nämlich immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

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