Kann die Gestaltung eines Produkts unser Verhalten nachhaltig ändern? Kann ein bestimmter Ablauf uns dermaßen beeinflussen, dass wir bereit sind, jahrelang antrainierte Handlungsweisen abzulegen? Bereits seit Jahrzehnten behandeln Forscher das Thema „Design for Behaviour Change“. Es hielt aufgrund seiner Tragweite schon des Öfteren für Werbezwecke her – so zum Beispiel bei Volkswagens Kampagne „The Fun Theory“ im Jahr 2009. Der Fahrzeug-Hersteller brachte Menschen damals dazu, die Treppe dem Fahrstuhl vorzuziehen und sich im Straßenverkehr an Tempo-Limits zu halten. Wie? Mit einer starken Motivation, die dem Menschen innewohnt: mit Spiel und Spaß.

Man muss jedoch nicht zwangsläufig Verhaltensänderungen anstreben, um ein Produkt oder eine Dienstleistung mit einem spielerischen Element auszustatten. Viele Experimente in der Öffentlichkeit haben gezeigt, dass wir Produkte aufgrund von Freude bei deren Verwendung häufiger gebrauchen und sogar weiterempfehlen. Das haben auch Webdesigner erkannt und statten ihre Werke seit einiger Zeit zunehmend mit Elementen aus (Video-)Spielen aus. Der neue Trend: erfolgreiche Websites dank Spaßfaktor.

Badges, Bewegung, Benutzerfreundlichkeit

Parallax Scrolling ist bekannt aus Super Mario Bros. – ein Effekt, bei dem sich mehrere Ebenen überlagern, unterschiedlich schnell bewegen und so den Eindruck von Dreidimensionalität erzeugen, während wir uns durch das Level bewegen. Meisterhaft eingesetzt wurde dieses Spielelement auf www.dangersoffracking.com. Parallax Scrolling ergänzt hier eindrucksvoll das lineare Storytelling – ein Spielelement, über das Sie mehr in meinem vorherigen Fachartikel erfahren – und auch themenfremde Nutzer sind motiviert, durch die Website zu navigieren.

Apropos navigieren: Die Konvention bei Ego-Shooter und Point-and-Click-Adventure, wichtige Informationen stets im Sichtfeld zu finden, ist ebenfalls ins Webdesign übergangen. Statt Lebensenergie und Inventar zeigt Google Plus in fixierten Seitenmenüs beispielsweise Hauptfunktionalitäten der Seite.

Recht früh haben Highscores, Ranglisten und Auszeichnungen Einzug auf Websites gehalten. In Foren seit vielen Jahren Gang und Gäbe, ermuntern mittlerweile auch Lern-Plattformen wie Treehouse zu freiwilligem Lernen, indem man durch den Abschluss verschiedener Lektionen zahlreiche Abzeichen freischaltet.

Ähnlich funktioniert es mit anfänglichen „Missionen“, die man erfüllen muss, um zum Beispiel einen Fortschrittsbalken zu füllen. Die Motivation, diesen Balken auf „100%“ zu bringen, nutzt Twitter und bringt Neulingen nach der Registrierung spielerisch die grundlegenden Funktionen des Dienstes bei.

Plakative Bildsprache, eine Vielzahl an Effekten und Animationen, Belohnungen, Ranglisten, Highscores – Spielelemente bergen ein immenses Potenzial, das Anwendererlebnis erheblich zu verbessern und den Besucher der Seite zu halten. Und das ist genauer betrachtet auch ganz einleuchtend. Denn seit jeher war es das Ziel von Videospielen, den Spieler durch eine spannende Geschichte zu fesseln und ihm gleichzeitig die Nutzung zu erleichtern; intuitive Interfaces und gut erlernbare Spielmechaniken waren dabei stets Grundvoraussetzung. Im Rahmen des Website- Wandels – von einfachen Bild- und Textplattformen hin zu multimedialen (Videospiel-ähnlichen) Anwender-Erlebnissen – war es also nur eine Frage der Zeit, bis die Gamification in Erscheinung treten würde.

„It's all about the looks!“

Die Entwicklung der „Spielifizierung“ erlaubt es Webdesignern, viel über die Gestaltung von Benutzeroberflächen zu lernen. Das ist zwar ein augenscheinlicher Vorteil, jedoch auch Grund für die hitzige Debatte zwischen Marketing-Fachleuten und Gamern. Letztere beklagen nämlich eine zu oberflächliche Betrachtung von Spielen. Gamification brächte Menschen dazu, zu glauben, „sie könnten ihr Produkt auf einfache Weise mit der psychologischen, emotionalen und sozialen Kraft eines guten Spiels ausstatten“, so die britische Spiele-Designerin Margaret Robertson. Marketer wie Gabe Zichermann sind hingegen der Auffassung, Spiele seien „die einzige Macht im Universum, die Menschen dazu bringt, gegen ihr eigenes Interesse zu handeln.“

Dass Unternehmer Gabe Zichermann und Spiele-Designerin Margaret Robertson nicht auf einen Nenner kommen wollen, liegt mitunter an den unterschiedlichen Auffassungen darüber, warum Spiele überhaupt Spaß machen. Zichermann sieht Punkte, Badges und virtuelle Güter als starke behavioristische Reize an, die Verhaltensänderungen hervorrufen. Robertson betrachtet Spiele hingegen als freiwillig angenommene Herausforderung; wir empfinden demnach Glücksgefühle, wann immer wir Mini-Ziele absolviert oder den Endgegner besiegt haben.

Fazit

Die Annahme, ein Produkt mit Spielelementen zu versehen und sofort Erfolge feiern zu können, ist sicherlich falsch. Es sind nicht nur Punktesysteme und Belohnungen, die uns zum Spielen verführen. Überzeugt werden wir von einer guten Story, einer intuitiven Nutzer-Oberfläche und leicht erlernbaren Spielmechaniken, teilweise auch von schwierigen Rätseln, einer passenden Atmosphäre, aufwendigen Grafiken und dem Sounddesign.

Trotzdem sehe ich es als positive Entwicklung an, dass Webdesigner nach mehr als 60 Jahren Videospiel (!) den Blick über den Horizont wagen, in den Game-Bereich, der bereits früh die Marschrichtung für heutige Websites eingeläutet hat. Zwar befinden wir uns damit in einem dynamischen Umfeld – sowohl im Web- als auch im Spiel-Design gab es in den letzten Jahren zahlreiche Neuerungen und es wird sich auch künftig vieles ändern. Jedoch ist es gut, das Potenzial der Spielifizierung einmal erkannt zu haben. Jetzt gilt es, Praxis-Erfahrung aufzubauen, gangbare Lösungen für Websites zu erarbeiten und sie sinnvoll einzusetzen. In diesem Sinne: game on!

Quellen:

econsultancy.com Gabe Zichermann on gamification, fun and metrics“, Laurie Petersen vom 16.03.2011

t3n.de „Gamification: Wie Webapps mit Spaßfaktor Nutzer binden”, Sebastian Deterding vom 17.01.2012

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