Kreativität und Kontrolle

Was wir gerade erleben, ist mehr als nur ein Social-Media-Trend. Die KI-Videotechnologie hat in den letzten Monaten einen Sprung gemacht – vergleichbar mit dem, was wir zuvor bei KI-generierten Bildern erlebt haben. Während frühe KI-Videos noch voller Fehler waren – Gesichter, die sich mitten in der Bewegung ungewollt verändern, inkonsistente Details oder völlig instabile Szenen – sind die neuesten Tools deutlich weiter. Bewegungen werden sauberer berechnet, Objekte bleiben konsistent im Frame, und das User-Interface ist so intuitiv geworden, dass selbst Laien in wenigen Minuten beeindruckende Animationen erstellen können.

Von Sora bis Hailuo: Wer dominiert den Markt?

Als OpenAI Anfang 2024 Sora vorstellte, waren die Erwartungen gigantisch: Ein KI-Video-Generator, der fotorealistische Szenen erzeugt und eine neue Ära des Filmemachens einläutet. Doch nach der beeindruckenden Ankündigung folgte monatelanges Warten – und Zweifel. Wie leistungsfähig war Sora wirklich? Und warum zog sich der Release in Europa so lange hin?

Ein zentraler Grund war die Rechtslage rund um KI-generierte Inhalte. OpenAI-CEO Sam Altman betonte in einer kontroversen Aussage, dass sich die USA nicht zu sehr um Urheberrechte scheren dürften, wenn sie im KI-Wettlauf nicht gegen China verlieren wollten. „Wenn wir uns strikt an Copyright-Regelungen halten, während China es nicht tut, dann werden wir abgehängt.“ Diese Sichtweise löste heftige Diskussionen aus, denn sie deutet darauf hin, dass viele KI-Modelle auf rechtlich fragwürdigen Trainingsdaten basieren könnten.

Sora selbst blieb lange unter Verschluss. Nur ausgewählte Partner durften es testen, und als es schließlich veröffentlicht wurde, war es zunächst nicht in Europa verfügbar – vermutlich aufgrund von Unsicherheiten bei den Datenschutzbestimmungen (GDPR). Mittlerweile ist das Tool auch in Deutschland nutzbar, doch die Frage bleibt: Hat sich das Warten gelohnt?

Fotorealismus oder kreative Kontrolle? Die Unterschiede der Tools

Wer sich heute ein KI-generiertes Video erstellen lässt, steht vor einem Dilemma: Welches KI-Tool ist das richtige? Möchte man möglichst realistische Ergebnisse – oder volle kreative Kontrolle?

Sora: Beeindruckende Bilder, eingeschränkte Steuerung

Sora liefert unbestreitbar die beeindruckendsten Ergebnisse in Sachen Fotorealismus. Die Lichtstimmung, Texturen und Bewegungsabläufe lassen viele Szenen aussehen, als wären sie von echten Kameras gefilmt worden. Aber genau da liegt das Problem: Je mehr Sora sich auf Realismus konzentriert, desto weniger Einfluss hat der Nutzer auf Details.

  • Automatische Kamerabewegungen: Oft werden ungefragt Schwenks oder Zooms eingefügt, auch wenn sie nicht gewünscht sind.
  • Konsistenzprobleme: Charaktere oder Objekte ändern sich zwischen Frames, was lange Szenen oder Storytelling erschwert.
  • Limitierung auf kurze Clips: Wie alle KI-Videotools kann Sora aktuell nur maximal 10 Sekunden lange Sequenzen generieren.

Allerdings bietet Sora eine Funktion, die es von anderen Tools unterscheidet: den Storyboard-Modus.
Während viele KI-Video-Tools lediglich einen Anfangs- und Endframe definieren lassen, ermöglicht Sora es, mehrere Keyframes in einer Timeline zu setzen und gezielt einzelne Frames zu editieren. Das erlaubt eine genauere Kontrolle über den Verlauf der generierten Sequenz und bringt das Tool einen Schritt näher an eine echte Storytelling-Umgebung.

Adobe Firefly: Zukunftsstrategie statt Perfektion

Statt eine isolierte Plattform aufzubauen, setzt Adobe auf die Integration generativer KI in bestehende Workflows. Aktuell ist Firefly Video – genau wie Sora oder Pika Labs – browserbasiert und ermöglicht Text-to-Video-Generierung, Kamerafahrten und Keyframe-Steuerung. Allerdings erreicht Firefly noch nicht die fotorealistische Qualität von Sora – vielmehr bewegt sich die Ausgabequalität aktuell auf einem ähnlichen Niveau wie Runway ML: solide, aber mit klar erkennbaren KI-Merkmalen. Die maximale Auflösung liegt derzeit bei 1080p, mit einer maximalen Clip-Länge von fünf Sekunden. Das macht Firefly aktuell noch weniger leistungsfähig für hochqualitative, filmische Anwendungen, aber sehr interessant für schnelle, kreative Inhalte im Bereich Marketing & Social Media.

Was Firefly jedoch von allen anderen Tools unterscheidet, ist Adobes strategische Weitsicht:

  • Geplante Integration in Premiere Pro & After Effects: Nutzer sollen KI-generierte Inhalte künftig direkt in Adobe-Software bearbeiten und erweitern können, ohne zwischen verschiedenen Plattformen zu wechseln.
  • Einbindung externer KI-Modelle über APIs: Adobe plant, Drittanbieter-Tools wie Sora, Runway oder Kling AI über API-Schnittstellen in die Creative Cloud zu integrieren. Das bedeutet: Nutzer könnten in Zukunft direkt aus Premiere heraus mit verschiedenen KI-Modellen arbeiten, ohne zwischen Anwendungen zu springen.
  • KI als Ergänzung, nicht als Ersatz: Während viele Anbieter mit ihren Tools klassische Videoproduktion ersetzen wollen, verfolgt Adobe einen hybriden Ansatz: KI soll bestehende Prozesse erweitern, nicht komplett neu definieren.

Mit dieser Strategie könnte sich Firefly in den kommenden Jahren zu einem zentralen Hub für KI-gestützte Videobearbeitung entwickeln, selbst wenn es aktuell in Sachen Qualität noch nicht mit Sora mithalten kann.

Hailuo, Chinas Antwort auf den KI-Hype, setzt Prompts sehr präzise um. Anders als Sora, das oft „kreative Entscheidungen“ trifft, hält sich Hailuo exakt an Anweisungen. Das macht es ideal für professionelle Workflows, in denen absolute Kontrolle über das Ergebnis erforderlich ist.

Kling AI wiederum punktet mit einer besseren Kamera-Steuerung als Sora, leidet aber unter seinem starken KI-Look mit gesättigten Farben und kontrastreichen Texturen.

Pika Labs: Spielplatz für Effekte

Was Pika von anderen Tools unterscheidet, sind vor allem seine Pika-Effekte. Statt nur einfach Text-to-Video zu generieren, ermöglicht Pika spielerische Manipulationen von Videoinhalten, die in der klassischen Postproduktion oft aufwändig wären:

  • „Pikaffects“: Vorgefertigte Effekte, mit denen sich Objekte verflüssigen, explodieren oder transformieren lassen.
  • „Pikaswaps“: Eine KI-gesteuerte Möglichkeit, einzelne Elemente in einem Video auszutauschen – beispielsweise könnte das Gesicht einer Person gegen das eines Cartoon-Charakters ersetzt werden.
  • „Pikadditions“: Hier wird es spannend für Motion-Design: Nutzer können eigene Bilder in ein Video integrieren und sie von der KI „lebendig“ werden lassen.

Das Besondere an Pika: Es funktioniert bei dem, was es tut, verlässlicher als viele andere Tools, weil es eine Reihe gut getesteter Abläufe, ähnlich vorgefertigter Templates, zuverlässig reproduzieren kann.

Dennoch hat Pika Labs seine Grenzen: Während Sora und Kling immer größere Szenenlängen ermöglichen, bleibt Pika eher auf kürzere, kreative Clips beschränkt. Es ist weniger ein Werkzeug für cineastische Produktionen, sondern vielmehr ein experimentelles Playground-Tool für dynamische Social-Media-Content-Creator.

KI verändert die Videoproduktion – aber sie ersetzt sie nicht

Die Wahrheit ist: Es gibt kein perfektes KI-Video-Tool.

  • Sora beeindruckt durch visuelle Qualität, bleibt aber oft unkontrollierbar.
  • Adobe Firefly kombiniert KI mit klassischen Workflows und könnte langfristig eine Schlüsselrolle spielen.
  • Kling gibt mehr Kamera-Freiheit, leidet aber unter seinem KI-Look.
  • Hailuo setzt Prompts am genauesten um, ist aber weniger experimentell.
  • Runway ML ist ein Veteran mit soliden Features, aber kein Spitzenreiter mehr.
  • Pika Labs ist perfekt für kreative Spielereien und Social-Media-Effekte.

Was bedeutet das für die Branche?

KI-Video hat bereits beeindruckende Sprünge gemacht – aber professionelle Videoproduktionen verlangen nach mehr als nur zehnsekündigen Clips ohne präzise Steuerung. Solange es kein Tool gibt, das Realismus, Kontrolle, Storytelling und konsistente Sequenzen vereint, bleibt die Technologie ein faszinierendes, aber limitiertes Werkzeug.

Wie Unternehmen KI-Video-Tools wirklich nutzen

KI-generierte Videos sind längst mehr als nur Spielerei. Während Social Media mit animierten Memes und KI-Deepfake-Clips überflutet wird, setzen Marken und Kreative die Technologie gezielt ein – sei es für dynamische Produktinszenierungen, visuelle Effekte oder um innovative Storys zu erzählen.

In der Werbung geht es längst nicht mehr nur um klassische Videospots. KI erlaubt es, Bilder zu animieren, Produkte in Sekundenschnelle in völlig neue Umgebungen zu setzen oder sogar ganze Kampagnen durch generative Inhalte zu ergänzen. Unternehmen wie Beck’s haben gezeigt, wie weit das gehen kann: Ihr „Autonomous“-Bier, das mit KI designt, gebrandet und vermarktet wurde, war nicht nur ein PR-Stunt, sondern ein Paradebeispiel dafür, wie Marken Künstliche Intelligenz für sich nutzen können.

Doch es bleibt nicht nur bei Marketingkampagnen. Mit Tools wie „Project Starlight“ von Topaz können alte Videoaufnahmen hochskaliert werden, während Runway ML bereits in Hollywood-Filmen zum Einsatz kam. Adobe Firefly bietet zudem neue Möglichkeiten für schnelle VFX-Integrationen, etwa mit bewegten Overlays oder Greenscreen-Freistellungen – eine erhebliche Erleichterung für Editoren und Postproduktionsteams. Und auch die angekündigte Version 7 von Midjourney verspricht mit neuer Architektur nicht nur verbesserte Funktionen, sondern auch Bewegtbild-Implementierung.

Aber so spannend KI für die Kreation neuer Inhalte auch ist, sie bleibt in vielen Punkten unflexibel. Wer einmal ein KI-generiertes Video hat, kann es kaum noch nachträglich bearbeiten – keine Ebenen, keine Keyframes, keine echte Animationssteuerung. Für professionelle Produktionen bleibt die Technologie daher mehr Hilfsmittel als Ersatz. Ein Vorteil von Adobes Firefly: Die Plattform garantiert eine rechtssichere Nutzung der generierten Inhalte, da sie ausschließlich mit lizenzierten oder gemeinfreien Materialien trainiert wird – ein Punkt, der bei chinesischen Tools wie Kling oder Hailuo oft fragwürdig bleibt.

Wie schnell sich all das weiterentwickelt, bleibt abzuwarten. Klar ist: KI kann kreative Workflows bereits heute deutlich beschleunigen aber auch in eine Sackgasse laufen lassen. Noch ersetzt sie klassische Video- und Animationsproduktion nicht – aber sie verändert sie. Und das ist erst der Anfang.

Quellen

techradar.com 1

techradar.com 2

t3n.de 1

t3n.de 2

adobe.com

openai.com

trendingtopics.eu

Nils ist Mediengestalter bei New Communication und hat wirklich schon alles gemacht: im Kino gejobbt. Im Atomkraftwerk und auf einer Bohrinsel gearbeitet. Stefan Raab beleidigt. Und seine Frau davon überzeugt, eine 2 Meter große Chewbacca-Figur im Wohnzimmer aufzustellen. Jetzt macht er vor allem eines: uns glücklich!

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