In Deutschland sind etwa 14 Millionen Menschen auf Leichte Sprache angewiesen, sei es aufgrund von Lernschwierigkeiten, Leseschwächen oder kognitiven Beeinträchtigungen. Ohne die Fähigkeit, Texte hinreichend zu verstehen, wird selbst das Ausfüllen eines Formulars zur echten Herausforderung. Oder Online-Shopping. Oder das Konsumieren eigentlich spannender Inhalte. Leichte Sprache bietet eine Möglichkeit, Kommunikationsbarrieren abzubauen und eine breitere Zielgruppe zu erreichen. Dass so viele Unternehmen potenzielle Zielgruppen, die 14 Millionen Menschen allein in Deutschland umfassen, bisher weitgehend ignoriert haben, ist mehr als verwunderlich.
Was ist Leichte Sprache?
Leichte Sprache ist eine vereinfachte Form der Alltagssprache und wird meist in Textform verwendet. Dabei befolgt sie klare Regeln, wie beispielsweise kurze Sätze, Vermeidung von Fremdwörtern und Abkürzungen. Sie sorgt dafür, dass Informationen für alle zugänglich sind – insbesondere für Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Sprachbarrieren. Auch Menschen mit Migrationshintergrund und noch geringen Sprachkenntnissen können von Leichter Sprache profitieren. Häufig werden Texte mit Bildern oder Symbolen ergänzt, die die Informationen nicht nur verständlicher, sondern auch ansprechender machen.
Heute gibt es Regelwerke für Leichte Sprache, Agenturen und Übersetzungsbüros bieten entsprechende Übersetzungen an. Die Verständlichkeitsprüfung übernehmen dabei häufig Prüfgruppen, deren Mitglieder zur Zielgruppe gehören. Sie testen die Übersetzungen auf Herz und Nieren und erarbeiten Optimierungsvorschläge. Die Integration von Leichter Sprache ins Marketing ist nicht nur inklusiv, sondern auch eine hervorragende Möglichkeit, die eigene Marke als zugänglich und kundenorientiert zu positionieren.
Neue Zielgruppen, die schon immer da waren
Dass Produkte und Dienstleistungen sich an bestimmte Zielgruppen und deren Bedürfnisse richten und andere außen vor lassen, liegt in der Natur der Sache. Zyklus-Apps, Kratzbäume oder Rollatoren sind eben nicht für alle gleichermaßen relevant. Man muss kein Marketingprofi sein, um in etwa die Zielgruppen für die genannten Produktbeispiele zu benennen. Doch wie häufig kommen Menschen mit Lernschwierigkeiten in den klassischen Zielgruppendefinitionen vor? Menschen, deren Sprache die Leichte Sprache ist, werden häufig nicht mitgedacht, obwohl das Produkt oder die Dienstleistung auch für sie relevant sind. Unternehmen könnten allein in Deutschland bis zu 14 Mio. Menschen als Zielgruppe gewinnen, auf europäischer Ebene bis zu 87 Millionen. Nach Schätzungen der EU ist jeder fünfte Mensch innerhalb der Europäischen Union, einschließlich älterer Menschen, von einer Beeinträchtigung betroffen. Und würde von Leichter Sprache profitieren.
Leichte Sprache im Marketing – och nöööö. Oder doch?
Trotz der offensichtlichen Vorteile (sowohl für Menschen, die von ihr profitieren als auch für Unternehmen), gibt es viele Hürden, Kommunikation in Leichter Sprache tatsächlich umzusetzen. Im Marketing stellt die Verwendung von Leichter Sprache eine besondere Herausforderung dar. Unternehmen müssen die Regeln der Leichten Sprache anwenden und gleichzeitig ihre Kommunikations- und Unternehmensziele verfolgen. Inhalte, die für Menschen ohne Beeinträchtigung intuitiv verständlich sind, müssen detaillierter erläutert werden.
Dies erfordert eine sorgfältige Auswahl der Informationen, um Kernbotschaften klar und verständlich zu vermitteln. Ein Beispiel für diese Herausforderung ist die Produktbeschreibung in einem Online-Shop. Anstatt technischer Begriffe und Fachjargon zu verwenden, müssen die Produkte einfach und klar erklärt werden, um sicherzustellen, dass alle die Informationen verstehen. Wie alles hat auch Leichte Sprache ihre Vor- und Nachteile. Und löst vielleicht auch hier und da Berührungsängste aus. Wie lässt sich das überwinden?
1. Aber die Kreativität …
Aus Marketingsicht lassen die Texte wenig Spielraum für Kreativität und Einzigartigkeit. Das ist ohne Frage richtig, denn Wortspiele, Anglizismen und Sprachexperimente aller Art funktionieren nur, wenn sie verstanden werden. Bei Leichter Sprache kommt es in erster Linie und noch viel mehr auf die Kernbotschaften an. Zudem birgt das Umsetzen der Inhalte in Leichte Sprache das Risiko der Uniformität: Vom Kochrezept, über das Behördenschreiben bis zur Reportage sind bei vielen Umsetzungen oft keine klaren Unterschiede in Aufmachung und Stilistik erkennbar. Und hier kommt die wahre Kreativität ins Spiel.
2. Aber das Design …
Leider leidet die Gestaltung oft unter der guten Absicht, Inhalte in Leichter Sprache bereitzustellen. Doch das liegt oft gar nicht an der Leichten Sprache und ihren Anforderungen selbst. Sondern an der oft lieblosen Umsetzung. Neben einer modern gestalteten Website mit schönen Fotos und Grafiken findet sich eine seltsam unverwandt wirkende Fassung: Statt Fotografien gibt es Strichmännchen, statt sinnvoll eingesetzter Farben nur noch gefühlt schwarz auf weiß. Leichte Sprache wird jedoch nicht für Aliens gemacht, sondern für Menschen, auf die eine schöne und liebevolle Gestaltung genauso positiv wirkt wie auf alle anderen. Zudem besteht kein ersichtlicher Grund, die Grundprinzipien des Corporate Designs über Bord zu werfen. Wer alle relevanten Zielgruppen respektiert, wird einen kreativen Weg finden, allen ein angenehmes Erlebnis der bereitgestellten Inhalte zu bieten – nur eben auf die jeweiligen Bedürfnisse angepasst.
3. Aber die Inhalte ...
Wer Texte in Leichte Sprache übersetzt, hat viel Macht über die Interpretation der Inhalte. Bei der Erstellung von Inhalten in Leichter Sprache sollte man sich nicht in Details verlieren, sondern den wesentlichen Kern der Informationen transportieren. Klar führt das dazu, dass auf einen Teil zugunsten des allgemeinen Verständnisses verzichtet werden muss. Doch zum einen ist Leichte Sprache eine Ergänzung zu bestehenden Inhalten und ein Angebot an deutlich mehr Menschen, diese zu verstehen. Und zum anderen ist der Prozess des Transfers in Leichte Sprache eine gute Übung, sich des Kerns der Inhalte und damit des eigenen USP bewusst zu werden.
Aber das sind doch „Texte für Behinderte“ ...
Keine Frage, das Angewiesensein auf Leichte Sprache geht oft mit Stigmatisierung einher. Sowohl Nicht-Betroffene als auch Betroffene selbst nehmen Inhalte in Leichter Sprache oft als „Texte für Behinderte“ mit genau dem Beigeschmack wahr, der dieser Formulierung nachhängt. Und so kann aus Inklusion Exklusion werden. Damit genau das nicht passiert, sollten Inhalte in Leichter Sprache auch gestalterisch in die Kommunikation angebunden und als einen Teil davon gesehen werden. So werden diese Inhalte nicht aus sieben Meilen gegen den Wind als „das mit den schwarz-weißen Strichmännchen“ identifiziert, sondern einfach als ein Teil der auch sonst aufmerksam gestalteten Inhalte. Für Unternehmen ist es eine kreative Aufgabe, anpassbare Inhalte zu schaffen, die gleichzeitig die Anforderungen an Leichte Sprache erfüllen.
Umsetzung von Leichter Sprache im Marketing
Doch wie bekommen wir Leichte Sprache ins Unternehmen und setzen sie effektiv im Marketing ein? Indem wir sie zunächst verstehen. Genau wie bei Themen wie Nachhaltigkeit kann auch Barrierefreiheit und Leichte Sprache als Teil davon nicht einfach von oben bestimmt werden. Etwa in Schulungen, Workshops oder Keynotes sollte das ganze Team von den Vorteilen von Leichter Sprache in der Gesellschaft als auch im Marketing erfahren und verstehen, wie sie funktioniert. Und ein Bewusstsein zu entwickeln für die Bedürfnisse von Menschen, die von Leichter Sprache profitieren oder auf sie angewiesen sind. Wer Inhalte in Leichter Sprache in Marketingmaßnahmen realisiert, sollte zudem Prüfgruppen einbeziehen. Die Inhalte sollten von Menschen, die Leichte Sprache aus erster Hand beurteilen können, getestet werden. Sie können wertvolles Feedback geben und helfen, die Verständlichkeit zu optimieren.
Leichte Sprache ist ein wertvolles Instrument, um Kommunikationsbarrieren abzubauen und eine breitere Zielgruppe zu erreichen. Für Marketingverantwortliche ist es entscheidend, die Vorteile und Herausforderungen der Leichten Sprache zu verstehen und diese in ihre Strategien zu integrieren. Durch Leichte Sprache können Unternehmen nicht nur ihre Reichweite erhöhen, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur Inklusion leisten. In einer zunehmend diversifizierten Gesellschaft ist es an der Zeit, dass Unternehmen die Bedürfnisse aller Menschen ernst nehmen und ihre Kommunikationsstrategien entsprechend anpassen. Damit fördern sie nicht nur Akzeptanz und Teilhabe, sondern eine gerechtere Gesellschaft.
Quellen
Deutschlandfunk
Europäische Kommission
Aktion Mensch
Leichte-Sprache.de
Netzwerk Leichte Sprache
Ringvorlesung - Übersetzen in Leichte Sprache - Prof. Dr. Silvia Hansen-Schirra (YouTube)
Barrierefreie Kommunikation: Leichte Sprache. Grenzen eines laienlinguistischen Konzepts – Alexander Lasch (YouTube)
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