Mein Wecker klingelt. Verschlafen öffne ich die Augen und mein erster Blick fällt aufs Handy. Ich schalte den Wecker aus, switche direkt zu Instagram und scrolle langsam meine Augen auf. Durch Storys, Beiträge in Foto oder Video-Form. Und Ads. Was mir auffällt? In den meisten Fällen wird viel Information in ein kompaktes und zeitlich begrenztes Format gebracht. Man packe noch grelle Farben, Töne und Text dazu, damit die Konsumgesellschaft mit mehr Inhalt noch mehr versorgt wird. TikTok, Instagram, Facebook, Threads, WhatsApp, … - habe ich was vergessen? Noch bevor ich die Vorhänge des Zimmers beiseiteschiebe, fühle ich mich überflutet mit Informationen. Zu viel. Dabei möchte ich doch nur mit ein wenig Berieselung in den Tag starten.
Menschen befinden sich in den unterschiedlichsten Situationen, wenn es darum geht, Content anzusehen. Was sie jedoch gemeinsam haben? Sie konsumieren Werbung nicht aktiv. Ihre Aufmerksamkeit muss erst erzeugt werden. Sie muss sich verdient werden. So geht es darum, Inhalte so zu gestalten, dass sie das Augenpaar abholen. Eine Variante, die mich persönlich besonders anspricht, lautet Minimalismus.
Aus der Masse auftauchen
Was bedeutet eigentlich Minimalismus im Marketing? Die minimalistische Antwort: Den Fokus auf das Wesentliche lenken. Statt Reizüberflutung steht Klarheit im Vordergrund. Weniger Information führt zu mehr Wirkung.
Ein gutes Beispiel dafür ist das Branding von Apple. Jede*r von uns kennt die schlichten Werbeanzeigen mit viel Weißraum, einem klaren Produkt im Mittelpunkt und vor allem einer knappen, einprägsamen Message. Kein unnötiger Text, keine überflüssigen Details. Stattdessen so wenig Worte wie möglich, die das Produkt auf den Punkt bringen. Das Resultat: Die Botschaft bleibt im Kopf, weil sie die Konsument*innen nicht in Informationen ertränkt.
In einer Welt, in der wir täglich mit Tausenden von Werbebotschaften über etliche Plattformen konfrontiert werden, haben Unternehmen, die bewusst auf Reduktion setzen, einen entscheidenden Vorteil – sie fallen auf.
Viele Reize, wenig Aufmerksamkeit
Aber warum funktioniert das eigentlich? Der psychologische Effekt hinter minimalistischem Design ist simpel: Das menschliche Gehirn ist ein Freund von Klarheit. Zu viele Informationen überfordern uns und führen dazu, dass wir automatisch abschalten. Man nennt es das sogenannte "Paradox of Choice" – das Paradox der Wahl – und es zeigt auf, dass uns Anhäufungen von Optionen und Reize eher lähmen, als dass sie zu einer Entscheidung motivieren.
Ein übersichtliches, gut strukturiertes Design mit deutlichem Fokus auf die Lösung lenkt hingegen unsere Aufmerksamkeit und erleichtert die Informationsaufnahme. Noch dazu wird Minimalismus mit hoher Qualität assoziiert, was ihn in der heutigen Zeit zum echten Gamechanger macht, bedenken wir doch die Vielzahl der Screens und Plattformen wie eingangs erwähnt. Denn in der Regel schenken wir – wenn überhaupt – nur noch wenige Sekunden Aufmerksamkeit, bevor weitergescrollt oder geswiped wird.
Mit Struktur zum Punkt
Minimalismus ist nicht einfach „Weniger ist mehr“. Es geht darum, konsequent zu entscheiden, welche Elemente wirklich relevant sind und alles andere gezielt wegzulassen. Er bedeutet Fokus. Was ist die zentrale Botschaft einer Kampagne? Und lässt sich sowohl Text als auch Design auf das absolut Notwendige reduzieren? Keine Ablenkungen. Nur das Kernversprechen.
Dazu lenken Leerflächen unseren Blick auf die entscheidenden Elemente und geben der Botschaft Raum zum Atmen, um klar und einprägsam wahrgenommen zu werden. Auch die Wahl der Typografie spielt eine wichtige Rolle: Sie ist sauber, lesbar und unaufdringlich, damit das Augenpaar unweigerlich auf den Inhalt gelenkt wird.
Die Farbgestaltung ist dezent und reduziert. Mit einer begrenzten Farbpalette lassen sich Kontraste setzen, die Akzente betonen, ohne zu dominant zu wirken. Und schlussendlich weckt visuelles Storytelling allein durch ausdrucksstarke Bilder Emotionen und erzählt uns so ganz eigene Geschichten. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte? Warum dann nicht einen ganzen Text damit ersetzen.
Grenzenlos minimalistisch – barrierefreies Design
Ein barrierefreies Design spielt durch die Einführung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) im Jahr 2025 mehr denn je eine tragende Rolle. Minimalismus bietet nämlich nicht nur ästhetische Vorteile, sondern sorgt ebenso für eine inklusivere Kommunikation. Inhalte werden für uns durch ein aufgeräumtes und aufs Wesentliche reduziertes Design leichter erfassbar. Ein deutlicher Vorteil: Unabhängig der Zielgruppe werden die Informationen für 100 % der Menschen zur Verfügung gestellt. Also auch jene, die mit einer Sehbehinderung leben oder vor kognitiven Herausforderungen stehen.
Minimalistische Prinzipien bieten die optimale Basis für barrierefreies Marketing. Nehmen wir das Beispiel einer Website. Eine klare Typografie mit ausreichendem Kontrast verbessert die Sichtbarkeit. Eine reduzierte und intuitive Navigation hilft, dass wir Inhalte schneller finden – besonders für Menschen, die Screenreader nutzen oder Schwierigkeiten mit komplexen Oberflächen haben. Reduzierte Farbpaletten mit starken Kontrasten erleichtern uns die Kombination und schaffen gleichzeitig eine Sichtbarkeit für Menschen mit Farbsehschwächen.
Praxisbeispiel: IKEA
Es gibt zahlreiche Marken, die den Minimalismus erfolgreich einsetzen. Neben Apple zeigt der schwedische Möbelhersteller IKEA ein weiteres hervorragendes Beispiel für Minimalismus im Marketing. IKEA setzt konsequent auf das klare, bekannte Design der Marke in seinen Werbekampagnen und Produkten. Ads von IKEA sind oftmals schlicht und direkt, mit eindeutigen Produktfotos und nur wenig Text. Die Messages konzentrieren sich auf die Benefits Funktionalität und Erschwinglichkeit. Und auch die Produkte selbst sind bekannt für ihre dezente, aber durchdachte Gestaltung. Das spiegelt sich auch in dessen Markenästhetik wider. Wie die Einrichtung, so die Werbung: Sauber und aufgeräumt. Ohne unnötigen Schnickschnack.
Mut zur Lücke
Minimalismus erfordert Mut. Und zwar, um alles Unnötige wegzulassen. Selbst, wenn es noch dieses oder jenes Pro-Argument gibt. Hinausstreichen und weg damit. Denn es geht darum, den Benefit effizient zu vermitteln. Kurze gezielte Textpassagen sorgen dafür, dass die Essenz auf den Punkt gebracht wird. Einfache Worte, die keine Missverständnisse zulassen. Die Kernbotschaft allein ist stark genug, um Wirkung zu erzielen. Was können wir noch alles mit aufnehmen? Nein – was können wir weglassen! Das Feld von hinten aufräumen. Punkt.
Minimalismus im Marketing ist einer von vielen möglichen Designtrends, ja. Aber er ist auch eine Antwort auf die überfüllten digitalen und physischen Räume, in denen Marken sich auf der Suche nach Aufmerksamkeit um ihre Plätze drängeln. Aber der entscheidende Vorteil liegt in der Einfachheit. Weniger visuelle Elemente, klare Hierarchien und gut platzierte Inhalte schaffen uns nicht nur eine angenehmere Wahrnehmung, sondern garantieren auch, dass niemand ausgeschlossen wird. Minimalismus und Barrierefreiheit arbeiten Hand in Hand, um Designs funktional und inklusiv zu machen.
Quellen
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