Cancel Culture ist die systematische öffentliche Ablehnung von Personen, Firmen oder Marken, die sich in den Augen der Verbraucher*innen moralisch schlecht verhalten. Boykott gab es schon immer. Cancel Culture geht aber weiter und verbreitet sich schneller. Denn sie findet vor allem in den Sozialen Medien statt. User*innen prangern moralisches Fehlverhalten und unfaire Zustände auf Twitter, Instagram, TikTok und Co. öffentlich an. Unter dem Hashtag #CancelCulture fordern sie Verbote oder Boykotte von Personen oder Marken und üben so enormen Druck aus.

Cancel Culture in Deutschland

Der häufigste Grund, aus dem Deutsche ein Unternehmen oder eine Marke canceln, ist Tierquälerei. Umweltschädigung, Korruption und Betrug, Rassismus, ungerechte Arbeitsverhältnisse und Sexismus sind weitere Ablehnungsgründe. Noch ist das Phänomen in Deutschland im Vergleich zum angelsächsischen Raum eher unbekannt. Über ein Drittel der Befragten hatte laut einer Statista Umfrage 2020 noch nie davon gehört. Wie schnell sich das Blatt auch hierzulande wenden kann, zeigt der Fall Fynn Kliemann.

From Hero to Zero

Fynn Kliemann galt als kreativer Weltverbesserer und Gemeinwohl-Idol. Dann kam der Maskenskandal. Und die prompte Cancelung seiner Person durch die Öffentlichkeit und sämtliche Partner. Viva con Agua distanzierte sich mit den Worten, dass Kliemanns „Werte und Vorstellungen vom Gemeinwohl extrem abweichen“. Ein Schritt, mit dem das Unternehmen der eigenen Annullierung zuvorkommt. Denn das Fehlverhalten prominenter Partner strahlt auch immer auf die Marke ab.

Hall of Shame

Im gleichen Maße haben eine Vielzahl von Marken Russland aufgrund des Ukraine-Krieges den Rücken gekehrt, um ihre öffentliche Reputation zu schützen. Wer dem russischen Markt treu bleibt, landet früher oder später in der Hall of Shame. Die Liste stellt Firmen bloß, die sich weigern, gegenüber Russland Haltung zu zeigen. Ein gefundenes Fressen für die Aktivist*innen der Cancel Culture.

Chance für Change?

Cancel Culture kann Marken über Nacht zerstören. Sie kann aber auch eine Chance sein. Denn wer sich der Kritik stellt und sie ernstnimmt verwandelt böse Rufe in Fürsprachen. Das zeigen folgende Besipiele:

Uncle Ben’s benannte sich nach öffentlicher Kritik in Ben’s Original um. Der Kopf des afroamerikanischen Mannes im Logo ist verschwunden, die Rassismus-Vorwürfe verstummten. Die Botschaft des Konzerns: „Wir haben zugehört. Wir haben dazugelernt. Wir verändern was.“  

Das deutsche Familienunternehmen Bahlsen wurde nach einer hitzigen Rassismus-Debatte in den Sozialen Netzwerken aktiv. Die Kekswaffel Afrika heißt nun Perpetum. Das Unternehmen erklärte, dass der ursprüngliche Grund für die Namensgebung vor über 60 Jahren der im Produkt enthaltene Kakao sei, der in afrikanischen Ländern angebaut werde. Dieser Bezug wird heute allerdings nicht mehr wahrgenommen. Das Produkt wurde gemäß dem Zeitgeist adaptiert.

Auch Ravensburger hat nach einer Empörungswelle in den Socials reagiert. Der Verlag nahm das Kinderbuch „Der junge Häuptling Winnetou“ vom Markt. Der Grund: Vorwürfe der kulturellen Aneignung und Rassismus. In einem Statement vom 11. August zeigt sich Ravensburger demütig: „Wir danken Euch für Eure Kritik. Euer Feedback hat uns deutlich gezeigt, dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben. Das war nie unsere Absicht und das ist auch nicht mit unseren Ravensburger Werten zu vereinbaren. Wir entschuldigen uns dafür ausdrücklich.“ Diese Reaktion brachte dem Verlag allerdings erneut nicht nur Beifall. Ein Beispiel, das deutlich zeigt, wie steinig der kommunikative Weg aus einem solchen Szenario verlaufen kann.

Beschleuniger Clicktivism

Aufrufe zur Cancel Culture verbreiten sich rasend schnell über die Sozialen Medien. Denn Clicktivism, also die Teilnahme an Online-Aktivitäten, ist einfach und erfordert wenig Engagement. Reposten von Artikeln und Standpunkten, Unterzeichnen von Online-Petitionen und das Nutzen bestimmter Hashtags sind bequeme Wege, die Missbilligung von Marken zu zeigen.

Gen Z: Generation Zero Toleranz

Dass Cancel Culture ihren Ursprung fast immer in den Sozialen Medien hat ist einer der Gründe dafür, dass vor allem die Gen Z das Phänomen vorantreibt. Die zwischen 1997 und 2012 Geborenen sind mit den digitalen Medien aufgewachsen. Sie sind woke, also „wachsam“ gegenüber Diskriminierungen und Missständen und tolerieren keinerlei Fehltritte. Kritische Themen aus der Politik und Wirtschaft wie Klimawandel, Gender-Gerechtigkeit und Rassismus haben für Gen-Z-ler*innen oberste Priorität. Sie sind nicht konfliktscheu und zunehmend misstrauisch. So glaubt die Mehrheit, dass Marken viel reden, aber nicht handeln.

Dazu kommt, dass nur 57 Prozent der Gen Z ihren Marken treu sind. Vor der Pandemie waren es noch 80 Prozent. Der deutliche Rückgang zeigt, dass Markenloyalität in der jungen Generation fast schon ein Fremdwort ist. Alternativen sind in einer globalisierten Welt schnell zu finden. Das Canceln fällt der Gen Z daher leicht.

Markenaktivitäten stehen stets auf dem Prüfstand. Die Gen Z fordern von Marken ein ethisches Konzept. Werte und Purpose sind die wichtigsten Reputationstreiber. So gaben 73 Prozent der Konsument*innen einer Studie an, dass sie eine Marke mit authentischem Purpose mit geringerer Wahrscheinlichkeit „canceln“ würden.

Die Gen Z macht mittlerweile etwa ein Drittel der Weltbevölkerung aus. In Deutschland umfasst sie einen Anteil von 10,1 % an der Gesamtbevölkerung. Das sind rund 8,5 Millionen potenzielle Konsument*innen. Eine Zielgruppe, deren Bedürfnisse, Wünsche und Einstellungen ernst genommen werden sollte.

Mut zur Veränderung

Cancel Culture kann etwas Gutes haben und bringt Fortschritt  –  zumindest jedoch Veränderung. Allerdings ist die Fehlertoleranz gegenüber Marken in den letzten Jahren deutlich gesunken. Es darf und sollte aber nicht zum moralischen Korrektiv erhoben werden. Eine Marke darf sich durchaus einer Debatte stellen, um sein bisheriges Vorgehen im Marketing zu begründen. Marken sollten dennoch extrem sensibel bei gesellschaftspolitischen Themen sein. Dazu gehören nicht nur eine klare Haltung und ein gutes Gefühl für Zeitgeist. Sondern der Mut, Verantwortung für Fehler zu übernehmen und sich bei Bedarf einem ernsthaften und ergebnisoffenen Dialog zu stellen. Wie so oft ist transparente, faire und authentische (Krisen-)Kommunikation der Schlüssel zum Erfolg. Denn Ehrlichkeit kommt auch bei der Gen Z nicht aus der Mode.

Quellen:

de.statista.com 1

de.statista.com2

vivaconagua.org

som.yale.edu

mars.com

welt.de

instagram.com

horizont.net

sitecore.com

sustainablebrands.com

truelist.co

destatis.de

Jessica ist strategische Beraterin und somit auch unsere statistische Kennzahlenfee und Marktforschungsagentin. Neben einem Studienabschluss in Ökotrophologie hat sie auch noch einen Master in Agrarwissenschaften und einen in Ernährungs- und Verbraucherökonomie vorzuweisen. Wer so viel studiert hat, kann ja wohl kaum noch Zeit für ein Privatleben haben, oder? Nicht mit Jessica, die neben ihren Abenteuer-Urlauben auch noch Power Yoga Kurse in Kiel gibt. Eine echte Powerfrau also. Und eine, die nicht nur alles im Griff hat, sondern auch noch berechnen kann, warum. Wir haben für sie nur eine Kennzahl in petto: Sie ist zu 100 % richtig bei uns.

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