Waffenlieferungen? Ein ganz klares JEIN aus Deutschland. Und auch sonst besticht die deutsche Regierung eher mit wohlüberlegter Spontaneität. Der Druck anderer EU-Staaten nimmt zu. Dabei ist die Lage doch eindeutig. Auf der einen Seiten die Bösen – auf der anderen die Guten. Da muss man doch nicht zögern!

Ohne jetzt die Regierung in Schutz nehmen zu wollen, sollte doch vor allem eines klar sein: Ohne alle Fakten und Eventualitäten zu kennen, ist es schwierig, schnell gute und richtige Entscheidungen zu treffen.

Davon können auch Marken ein Lied singen – wenngleich ohne auch nur annähernd so weitreichende Auswirkungen. Denn obwohl Marken wie Netflix und Co. es wie ein Kinderspiel aussehen lassen, ihre Dienste für den russischen Markt zu sperren, spürt auch der Streaming-Anbieter Konsequenzen. Stark sinkende Nutzerzahlen – nicht nur, aber auch das Resultat dieser Entscheidung. Der Aktienkurs sank deutlich.

Immer höher, weiter, besser ist ja so oder so nicht drin, mag man da denken. Und ja, Netflix wird es vermutlich verkraften. Anders sieht es bei Unternehmen wie IKEA aus. Die treffen mit der Schließung ihrer Filialen nicht nur die Konsument*innen, sondern auch die Angestellten in Russland.

Und spätestens jetzt wird es haarig. Nicht die zweite Bridgerton-Staffel sehen mag ärgerlich sein, ist aber verkraftbar. Ein Wochenende ohne Hot Dog und neues Kallax-Regal – ebenfalls machbar. Arbeitslosigkeit und Probleme, die Familie zu ernähren? Ganz anderer Schnack. Statista prognostiziert einen Anstieg der Arbeitslosenquote in Russland von 4,83 % auf 9,3 %.

Wir müssen hier erst einmal gar nichts

Ritter Sport sah sich durch den Krieg ebenfalls einem Gewissenskonflikt gegenüber. Anders als andere Marken hatte man sich nicht dazu entschieden, sofort alle Verbindungen nach Russland zu kappen. Zu groß und wichtig sei der Markt für die Marke – immerhin sorgt er für etwa 10 % des Jahresumsatzes.

Doch unter den Konsument*innen machte sich Unverständnis breit. Aber im Gegensatz zu Milka steht hinter der Marke Ritter Sport kein Konzern wie Nestlé. Sondern das Familienunternehmen Alfred Ritter GmbH & Co. KG mit 1.750 Angestellten. Negative Presse landet also unvermittelt bei der Marke. Bei einer Marke obendrein, die ihre Kommunikation seit Jahren auf das Thema Nachhaltigkeit ausgerichtet hat.

Haltung – aber bitte die richtige

Das Unternehmen zeigte Haltung – wenngleich es auch eine ist, die viele Verbraucher*innen nicht teilen. Diese riefen prompt zum Boykott der Marke auf. Ritter Sport reagierte, versuchte sich zu erklären. Man müsse auch an die Kakaobauernfamilien denken. Die Kritik hielt aber an. Schlussendlich einigten sich Ritter Sport und die Verbraucher*innen auf einen Kompromiss: Die Marke wird weiterhin in Russland vertrieben – ohne Werbung. Der Gewinn aus Russland wird gespendet. Auch Henkel, das Unternehmen hinter Persil, Schwarzkopf und Syoss, zog sich zunächst nicht aus Russland zurück und ließ die Arbeit an den dortigen Produktionsstandorten fortführen. Zu groß war die Angst vor Enteignung durch den Kreml. Lediglich Investitionen, Sponsoring und Werbung stelle das Unternehmen ein.

Gegenwind bekam Henkel daraufhin allerdings nicht nur von Verbraucher*innen. Insbesondere Aktionär*innen wurden auf der Hauptversammlung Anfang April laut. Wie schon bei Ritter Sport gab auch Henkel unter dem Druck nach. Man wolle nun die Geschäfte komplett aufgeben und arbeite an den Details. Die 2.500 Mitarbeiter*innen vor Ort werden trotz Rückzug derzeit noch beschäftigt und bezahlt. In der Ukraine sind rund 600 Menschen für Henkel tätig. Die unterstützt das Unternehmen zusätzlich mit einem Ad-hoc-Hilfspaket. Welche Konsequenzen dieser Ausstieg finanziell haben wird, ist noch unklar. Zuletzt kam rund eine Milliarde des Umsatzes aus Russland.

Wirtschaftlichkeit vs. soziale Verantwortung

Haltung haben sowohl Henkel als auch Ritter Sport bewiesen – auf ihre Art. Beide Unternehmen hatten ihre Gründe. Doch die Vermutung, dass diese eher wirtschaftlich denn tatsächlich sozialer Natur sein könnten, stieß den Konsument*innen und Aktionär*innen übel auf. Imageschaden auf der einen, finanzielle Verluste und die Verantwortung gegenüber Mitarbeiter*innen in Russland und der Ukraine auf der anderen Seite. Dass es sich hier weder um schwarz vs. Weiß noch eindeutig leichte Entscheidungen handelt, sollte klar sein.

Bemerkenswert ist, dass die Haltung, die Verbraucher*innen verstärkt von Unternehmen und Marken einfordern, mittlerweile so spürbar geworden ist. Haltung ist somit mehr als nur ein Versprechen, das Unternehmen geben, oder etwas, das sich gut als Teil einer PR-Strategie macht. Es ist viel mehr und kann, sollte die Haltung des Unternehmens zu stark vom Konsens der Verbraucher*innen abweichen, sogar schädigend sein. Insbesondere für Marken, die sich damit rühmen, fair und nachhaltig zu agieren.

Dass Haltung nichts ist, wo nur Unternehmen selbst mitsprechen können, merkte kürzlich auch Ankerkraut. Die Gründer Anne und Stefan Lemcke verkauften an Nestlé. Ein Konzern, der schon lange auf der Blacklist vieler Konsument*innen steht. Rückgängig machen wird Ankerkraut diesen Deal aufgrund des negativen Feedbacks vermutlich nicht. Spannend wird aber, wie die Marke sich künftig präsentieren wird.

Fazit: Haltung will wohlüberlegt sein

Schwarz und weiß wäre toll, Gut und Böse wäre klasse. Aber ganz so einfach ist es nicht. Auch wenn es auf Twitter und in den Kommentarspalten so scheinen mag. Haltung lohnt sich, aber man muss sie sich auch leisten können. Wer pauschal Marken, die das nicht können, die Unterstützung versagt, macht es sich zu einfach. Marken wiederum sollten ihre Beweggründe in Zwickmühlen-Situationen offen kommunizieren und bereit für Kompromisse sein. So haben sie noch die besten Chancen, die Gunst der Konsument*innen nicht zu verspielen.

Quellen:

businessinsider.de

de.statista.com

kom.de

swr.de

henkel.de

faz.net

rnd.de

ritter-sport.de

Jana sorgt als ausgebildete Social-Media-Managerin und Expertin für Public Relations und Newsletter-Marketing bei New Communication dafür, dass ihre Kunden im Rampenlicht stehen. Als Fachfrau für Krisenkommunikation, Influencer Relations und Investor-Relations trifft sie immer den richtigen Ton. Kein Wunder, dass die studierte Anglistin und Skandinavistin privat dem medialen Getöse gern mal den Rücken kehrt und in Norwegen Schnee- statt Shitstorms die Stirn bietet.

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