Stationärer Einzelhandel – eine Bestandsaufnahme

Der Einzelhandel und Unternehmen, die vom „analogen Shopping“ leben, haben es augenblicklich nicht leicht. Das Online-Angebot wächst stetig und E-Commerce hat durch die fortschreitende Digitalisierung sowie die Corona-Pandemie ordentlich an Auftrieb gewonnen. Die Folgen für den Handel, aber auch für die Gesellschaft, sind leblose Innenstädte und leere Verkaufsflächen mit nur wenigen Besucher*innen. Im stationären Handel muss kreativ umgedacht werden, damit nicht nur mehr Kundschaft in die Läden strömt, sondern analoges Einkaufen weiterhin ein wettbewerbsfähiger Vertriebskanal bleibt. Das ist nicht nur gesellschaftlich entscheidend, um dem desaströsen Aussterben der Innenstädte entgegenzuwirken, sondern auch für die Markenkommunikation an sich bedeutend. Denn besonders in der realen Einkaufswelt werden unvergleichliche Shopping- und Markenerlebnisse kreiert, die eine effektive Kundenbindung fördern. 

Neue Wege gehen

Insgesamt muss im Offline-Handel umgedacht werden. Diesen Standpunkt vertritt Philipp Westermeyer, der Geschäftsführer von OMR, in seinem aktuellen Buch „Digital Unplugged: Über außergewöhnliche Phänomene und Macher unserer Zeit“. Er ist der Meinung, dass die Chancen für den Einzelhandel darin bestehen, neue Wege zu gehen. Im Detail bedeutet das, dass Händler*innen eine Verkaufsstrategie mit Erlebnischarakter realisieren sollten, um erfolgreich zu sein. Als Vorzeigebeispiel nennt er das Osnabrücker Kauf- und Sporthaus L&T (Lengermann & Trieschmann). Das Unternehmen hat ein Sportgeschäft auf 5000 Quadratmeter für Sportliebhaber erschaffen und punktet mit einer einzigartigen Erlebniswelt. Unter anderem gelingt dies durch eine stehende Welle fürs Indoor-Surfen im Keller, einem Fitnessstudio mit Höhentraining, Erlebnisgastronomie, einer App und diversen Events. Für Kunden*innen soll Shopping so zu einem einmaligen Erlebnis werden. All diese kreativen Erlebnismaßnahmen zahlen sich aus. Sie schaffen Umsatz und locken sogar Touristen aus aller Welt an. Westermeyer ist sich sicher, dass das Internet den Fun-Faktor in dieser Form nicht bieten kann. Der Vorteil eines analogen Geschäfts liegt ganz klar im Erleben.

Markenerlebnisse im großen Maßstab

Markenerlebnisse haben positive Effekte auf den Markenwert. Außerdem stärken sie das Kundenvertrauen und die Kundenbindung. Daher gelten Flagship-Stores und Brandlands als Paradebeispiele, wenn es um gelungene Erlebniswelten geht. Sie ermöglichen es Konsumenten*innen in die Welt der Marke vollkommen einzutauchen, sodass eindrucksvolle Momente entstehen.

Ein Flagshipstore ist eine Filiale eines Handels- oder Dienstleistungsunternehmens, welche ohnehin als Vorzeigeobjekt fungiert, denn die Marke ist im Store interaktiv für die Kunden*innen erlebbar. Ein Brandland hingegen ist eine ebenso rund um die Marke geschaffene Erlebniswelt, die sich auf ein örtlich gebundenes Zentrum fokussiert. In Form einer Ausstellung, eines Museums oder eines Freizeitparks. Das wohl bekannteste Beispiel für Brandlands sind die Disney Worlds Themenparks in z. B. Paris und Orlando. Wer also im großen Maßstab die Kundenbindung vertiefen möchte, sollte ein Flagshipstore oder sogar ein Brandland für seine Marke verwirklichen.

Schauen Sie sich hier Beispiele für Flagshipstores weltweit an.

Multifunktionales Einkaufen

Ziel einer jeden Markenführung sollte es sein, die Brand interaktiv erlebbar zu machen, um positive Momente und Emotionen bei den Konsument*innen zu erwecken. Eine solche emotionale Inszenierung der Marke gelingt einem schwedischen Möbelhaus besonders erfolgreich. Denn Ikea verspricht Besucher*innen neben dem eigentlichen Shopping immer auch einen Kurztrip nach Schweden.

Wie etwa das erst kürzlich eröffnete Ikea-Kaufhaus in Wien. Es punktet mit einer Erlebniswelt, die das Einkaufen zu einem Wohlfühlerlebnis macht. Das Einkaufen wird hier multifunktional definiert: Essen, Verabreden, Entspannen und nebenher shoppen. Und das alles mit Mehrwert. Der charakteristische und beliebte Ikea-Hotdog darf natürlich auf der Verkaufsfläche nicht fehlen. Als Belohnung zum Abschluss des erfolgreichen Einkaufes wird dieser typisch „auf die Hand“ serviert und genossen. Derweil werden die Einkäufe ganz bequem emissionsfrei nach Hause geliefert. Und wem das noch nicht reicht, der kann sogar eine Hotelübernachtung im gleichen Gebäude buchen und seine Nacht in skandinavischen Ikea-Betten verbringen.

Schaufensterbummel mal anders

Es ist ratsam alle Kontaktpunkte zwischen Kund*in und Marke am Point of Sale zu eruieren, um das Einkaufserlebnis zu optimieren. Das Schaufenster stellt im Einzelhandel ein wichtiges Marketinginstrument dar, welches oftmals als Kunden-Touchpoint vernachlässigt wird. Dabei besitzt das Schaufenster beträchtliches Potenzial. Es lädt zu einem Besuch im Laden ein, zieht Laufkundschaft an und lenkt Kaufentscheidungen. Durch eine gezielte Ausgestaltung können Akzente gesetzt und Marketingbotschaften sinnvoll transportiert werden. In der Kieler Innenstadt beispielsweise haben einige Händler in der Vergangenheit ihr Schaufenster zeitweise so umgestaltet, dass die Aufmerksamkeit erregt und ein spielerisches interaktives Erlebnis für (potenzielle) Kunden*innen geschaffen wurde. Durch die Platzierung eines Bildschirms von screenable im Schaufenster konnten Windowshopper*innen, Passanten*innen und Kunden*innen Markeninhalte interaktiv unter Verwendung ihres Smartphones spielerisch entdecken. Der Screen beinhaltet Rätsel, die mit dem Smartphone als Controller gelöst werden und Gewinne, die erzielt werden wollen. Gewonnene Gutscheine können direkt im Geschäft eingelöst werden und die Motivation am Point of Sale spontan einen Kauf zu tätigen wird somit erhöht.  Es muss also nicht immer gleich eine ganze Brandland geschaffen werden, um lohnende Erlebniswerte zu kreieren. Manchmal reicht es ganz einfach das Schaufenster umzudekorieren.

Alle Sinne ansprechen

Neben einer sinnvollen Gestaltung des Schaufensters sollte auch die Ladengestaltung von innen ganzheitlich gedacht werden. Beurteilungen über ein Geschäft, eine Marke oder Produkte werden immer mithilfe unserer Sinne bewusst, aber auch ganz unbewusst, beeinflusst. Multisensorik ist aus diesem Grund ein Schlüssel in der Markenkommunikation, um Erlebnisse nachhaltig zu prägen. Die sensorischen Touchpoints, die das menschliche Sehen, Hören, Tasten, Schmecken und Riechen umfassen, sollten ausgekundschaftet werden und entsprechend dem Kontext angepasst werden.  

Multisensorische Komponente: Ambient Scent

Ein angenehmer Umgebungsduft in einem Laden, auch Ambient Scent genannt, kann ein multisensorisches Element sein, welches dafür sorgt, dass eine verbesserte Laden-Atmosphäre herrscht. Der Duft (richtig eingesetzt) bewirkt zusätzlich einen günstigen Einfluss auf die Verweildauer und die Wartezeiten in Geschäften. So erscheint an der Kasse die Dauer des Schlange-Stehens kürzer, als sie es wirklich ist, wenn der Duft stimulierend wirkt. Es gibt Düfte, die beim Einkaufen besonders positiv wahrgenommen werden, weil sie eine Wohlfühlatmosphäre schaffen. Dazu zählen generell der Duft von Zitrus oder Vanille. Diese Düfte funktionieren für eine Vielzahl von Läden. Dennoch muss der Ambient Scent wohlbedacht ausgewählt werden. Nur wenn multisensorische Parameter aufeinander, auf den Markenkern und den Kontext abgestimmt sind, führt dies zu einer schnelleren Reizverarbeitung im Gehirn. Diese schnellere und leichtere Einordnung der Reize führt wiederum zu einem guten Gefühl und determiniert eine höhere Attraktivität der Produkte. Dieser Effekt wird Fluency-Effekt genannt. Wir Menschen bewerten Informationen automatisch als besser, je leichter bzw. „flüssiger“ sie aus dem Gedächtnis abgerufen werden können. Im Zuge dessen sollte die multisensorischen Komponente ideal abgestimmt sein, damit sie überhaupt den gewünschten Effekt bringt. In einem Café, welches beispielsweise in der Weihnachtszeit Plätzchen verkauft, würde ein Zimt-Duft gegenüber einem Pfefferminz- oder Zierbelkiefer-Duft höchstwahrscheinlich von Kunden*innen als vorteilhafter wahrgenommen werden. Ist der richtige Duft erst einmal ausgeklügelt, verhilft dieser zu einem ganzheitlichen Einkauferlebnis.

Fazit

Ein echtes Shoppingerlebnis lässt sich nur bedingt im Internet verwirklichen. In der realen Welt hingegen wird durch eine ganzheitliche multisensorische und interaktive Strategie die Präsenz einer Marke gestärkt. Werden an den unterschiedlichen Touchpoints Erlebnisse geschaffen, steigert dies zwischen Konsument*in und Marke. Die Kundenloyalität, das Markenimage und der Markenwert profitieren davon.

Quellen:

Spangenberg, E. R., Crowley, A. E., & Henderson, P. W. (1996). Improving the store environment: do olfactory cues affect evaluations and behaviors?. Journal of marketing60(2), 67-80.

wikipedia.org

Jessica ist strategische Beraterin und somit auch unsere statistische Kennzahlenfee und Marktforschungsagentin. Neben einem Studienabschluss in Ökotrophologie hat sie auch noch einen Master in Agrarwissenschaften und einen in Ernährungs- und Verbraucherökonomie vorzuweisen. Wer so viel studiert hat, kann ja wohl kaum noch Zeit für ein Privatleben haben, oder? Nicht mit Jessica, die neben ihren Abenteuer-Urlauben auch noch Power Yoga Kurse in Kiel gibt. Eine echte Powerfrau also. Und eine, die nicht nur alles im Griff hat, sondern auch noch berechnen kann, warum. Wir haben für sie nur eine Kennzahl in petto: Sie ist zu 100 % richtig bei uns.

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