Werber*innen gelten nicht gerade als Vorreiter*innen für ökologisch verantwortungsvolles Handeln. Schließlich wollen wir Menschen dazu bringen, zu konsumieren. Das ist inzwischen jedoch nicht mehr die einzige Rolle von Kommunikationsagenturen. Denn neben Shampoos und Versicherungen rücken gesellschaftliche Themen zunehmend in den Fokus. Wer, wenn nicht Kommunikationsprofis, sind dazu in der Lage, Fake News den Kampf anzusagen? Doch welche Verantwortung haben wir bei der Beratung in Sachen nachhaltige und sozialpolitische Kommunikation?
Größer als Hollywood
Angela Merkel und Barack Obama sind außerirdische Reptiloide. Bill Gates will der Menschheit Mikrochips einimpfen. Und Greta Thunberg ist eine Zeitreisende. Fake News und Verschwörungserzählungen sind so spannend wie ein Hollywood-Drehbuch. Da können Tagesschau und Co. kaum mithalten. Immer mehr Menschen lassen sich daher von Mythen in den Bann ziehen.
Was wir dagegen tun können:
Diese Theorien lassen das Herz von Kreativen höherschlagen, denn Aluhut-Fantasien bekämpft man am besten mit – genau – fantastischer Kreation. Unsere Aufgabe ist es, gesellschaftlich relevante Themen mindestens genauso spannend zu gestalten wie reißerische Fake News. Das ist entscheidend. Denn reine Informationsvermittlung wirkt bei emotionalen Themen wie der Corona-Impfung nicht, weiß Marken-Psychologe Dirk Ziems: „Impf-Kommunikation, die einseitig auf sachliche Aufklärung und rationale Erklärung setzt, droht ins Leere zu laufen. Denn die tief verankerten unbewussten Ängste bei den Impf-Skeptikern und Impf-Gegnern lassen sich durch Appelle an die Vernunft nicht ausräumen. Menschen, die an Flugangst leiden, lassen sich auch nicht durch Informationen, wie sicher das Fliegen im Prinzip ist, überzeugen. Mit dem Impfen verhält es sich ähnlich.“
In Deutschland warten wir noch auf eine überzeugende Kampagne zum Corona-Piks. Das Bundesministerium für Gesundheit versuchte, mit „Hello again“ zu berühren, blieb aber nur an der Oberfläche. Zu glatt wirkten die Aufnahmen, zu altbacken der Howard Carpendale Song. Besser macht es Pfizer in den USA. Das Pharmaunternehmen zeigt in kurzen Aufnahmen, die an Home Videos erinnern, emotionale Gründe, sich impfen zu lassen: Freunde, die sich beim lang ersehnten Wiedersehen weinend in den Armen liegen oder eine Mutter, die unter Tränen erfährt, dass sie bald ihr erstes Enkelkind im Arm halten darf. „Science can make this possible. Only you can make it real“, heißt es am Ende.
Klimawandel-Gegnern nimmt die Kampagne „It’s time for action“ des Energieanbieters E.ON den Wind aus den Segeln. In einem beeindruckenden Spot zeigt Testimonial Reinhold Messner, wie ein jahrtausendealter Gletscher nahezu verschwunden ist. Auf der dazugehörigen Website belegen Messner und 25 weitere „Change Maker“ die dramatischen Folgen des Klimawandels.
Direkt gegen Verschwörungserzählungen richtete sich die Bundeszentrale für politische Bildung bnp mit dem Online-Sender Wahre Welle TV. Sechs kurze Videos entlarvten berühmte Mythen auf satirische Weise. Der Clou: Die Videos gehorchten keiner nüchternen Nachrichten-Logik, sondern bedienten sich den reißerischen Erzählformaten von Fake News. Am Ende stand immer die Auflösung „Lass Dir keinen Scheiß erzählen“ sowie der Link zu seriösen Quellen.
Raus aus der Blase
Filterblasen, auch Bubbles oder Echokammern genannt, entstehen, wenn man ausschließlich mit Menschen zu tun hat, deren Meinung man teilt. So verpasst man kontroverse gesellschaftliche Diskussionen und hält die eigene Haltung für die einzig richtige. Online verschärft sich das Problem. Wenn Suchmaschinen oder Feeds in sozialen Netzwerken immer nur Like-würdigen Content anzeigen, drohen ernste gesellschaftliche Konsequenzen. Denn Filterblasen stellen eine verzerrte Wirklichkeit dar. Das böse Erwachen erlebten zuletzt Trump- und Brexit-Gegner. Viele waren aufgrund ihrer Blasen davon überzeugt, dass ein Großteil der Wahlberechtigten, die eigenen Ansichten teilt.
Was wir dagegen tun können:
Wer über den Klimawandel und andere gesellschaftlich relevante Themen informieren möchte, sollte nicht nur Menschen im Blick haben, die ohnehin empfänglich dafür sind. Demografie und Statistik reichen bei der Zielgruppenanalyse allerdings schon lange nicht mehr aus. Um zu verstehen, wie Menschen außerhalb der eigenen Filterblase ticken, müssen Kommunikationsstrateg*innen sich tief in deren Lebenswelten begeben. Recherche-Abteilungen und Strategie-Spezialist*innen sind essenzieller Bestandteil jeder Agentur. Partnerschaften mit Trendforscher* innen, z. B. vom Zukunftsinstitut, liefern innovative Methoden für die Zielgruppenarbeit.
Employer Learning
Der Umgang mit digitalen Medien kommt immer noch zu kurz in deutschen Schulen – schlimm genug. Doch noch dramatischer ist die digitale Bildungslücke bei Menschen über 40. Denn als sie die Schulbank drückten, waren soziale Netzwerke und deren Auswirkungen noch kein Thema. Daher gilt: Je höher das Alter, desto weniger ausgeprägt ist die Fähigkeit, Fake News zu erkennen.
Was wir dagegen tun können:
Der Umgang mit digitalen Medien muss nachgeholt werden. Menschen über 40 erreicht man am besten im Arbeitsleben. In Form von Weiterbildungen und Projekttagen können Kommunikationsagenturen Unternehmen dabei unterstützen, die digitale Medienkompetenz ihrer Mitarbeiter*innen zu stärken. Das ist auch gut fürs Betriebsklima. Denn Aufklärung ist das wichtigste Mittel gegen gesellschaftliche Spaltung.
Empfänglichkeit für Desinformation
Gefahrenquellen Filterblase und fehlende Medienkompetenz: Wenn Fake News das eigene Weltbild bestätigen, sind Menschen geneigter, ihnen Glauben zu schenken. Für ältere Nutzer*innen gilt häufig der Grundsatz „Nachrichten sind Nachrichten“. Es fehlt die Kompetenz, Meldungen als falsch einzuordnen.
Vorbildliche Kunden
Werbung ist Verführung. Bilder und Wörter können Menschen den Kopf verdrehen. Das gilt leider auch für ethisch fragwürdige Produkte. Nicht ohne Grund locken Mineralölhersteller, Zigaretten-Industrie und Waffenhersteller mit lukrativen Werbeaufträgen. Andere Kund*innen wünschen sich eine möglichst günstige Umsetzung oder glitzernde Knalleffekte. Die Umwelt bleibt dabei häufig auf der Strecke.
Was wir dagegen tun können:
Klare Richtlinien helfen bei der Kund*innenauswahl. Wer von vornherein definiert, welche Branchen ethisch nicht vertretbar sind, gerät auch bei dicken Budgets nicht in Versuchung. Für alle anderen Bereiche gilt: Beratung statt blinder Umsetzung. Denn die meisten Kund*innen sind durchaus empfänglich für nachhaltige Produktion. CO₂-Ausgleich bei Printprodukten, nachhaltige Giveaways und klimaneutrale Websites sind Themen, die nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch für das Image sind. Aber auch Unternehmen zu ermutigen, Haltung bei sozialpolitischen Themen wie Rassismus, Feminismus oder anderen zu zeigen, gehört zur Aufgabe von Werbeagenturen. Voraussetzung dabei: Worten müssen Taten folgen.
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