Porno. Chance. Liebe. Hitler.
Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht aufwühlen. Wenn ich es dennoch getan habe, ist mein Experiment geglückt: Sie reagieren auf meine Reizwörter. Das sind Begriffe oder Phrasen, die emotionale Reaktionen oder Assoziationen auslösen – positive wie negative. Wer professionell mit Sprache arbeitet, kann das nutzen. Ein unbewusster Umgang mit Reizwörtern führt dagegen oft zu Ärger.
Wir machen einfach mehr: Reizwörter in der Werbung
Jeden Monat ermittelt das Slogometer die 100 beliebtesten Wörter der Werbesprache. Die aktuellen Top 5: einfach, wir, mehr, Leben, Sie. Werbe-Reizwörter sollen positive Assoziationen auslösen. Sehnsüchte wecken. Und verkaufen. Je nach Zielgruppe gibt es 8 Motive, die Kunden zum Kauf bewegen. Geschickt platzierte Reizwörter unterstützen diesen Impuls.
- Ansehen
Menschen, denen Anerkennung und Status besonders wichtig sind, horchen auf bei „Erfolg“ und Formulierungen wie „Sie als Profi“ oder „neidische Blicke“. - Neugier
„Neu“ ist ein Dauerbrenner der Werbe-Sprache. Abenteuerlustige und trendbewusste Verbraucher reagieren darauf besonders stark. In diese Familie gehören auch „überraschend“, „anders“ und „Erlebnis“. - Verantwortung
Verbraucher werden kritischer. Sie hinterfragen Herkunft und Nachhaltigkeit von Produkten. „Umweltfreundlich“, „regional“ und „bio“ wecken ihr Interesse. - Sicherheit
Qualität ist wichtig bei der Kauf-Entscheidung. Folgende Wörter locken sicherheitsbewusste Menschen an: „Garantie“, „Zertifikat“, „geprüft“. - Sparen
Schnäppchen lösen Glücksgefühle aus. Zu den häufigsten Reizwörtern der Werbesprache gehören Begriffe, die ein gutes Angebot versprechen, z. B. „Rabatt“, „kostenlos“, „mehr“ und „günstig“. - Gesundheit
Menschen, die auf Ihren Körper achten, prüfen Produkte auf gesundheitliche Aspekte. Begriffe wie „natürlich“, „vital“ und „Wohlbefinden“ setzen Signale für den Kaufimpuls. - Einfachheit
Produkte sollen das Leben erleichtern. Bei riesiger Angebots-Vielfalt und technischen Möglichkeiten reagieren Verbraucher positiv auf Botschaften, die einen unkomplizierten Umgang versprechen. „Einfach“, „kinderleicht“ und „schnell“ gehören dazu. - Gemeinschaft
Unternehmen tun gut daran, sich als Partner ihrer Kunden zu positionieren. Folgende Begriffe betonen Gemeinsamkeit und schaffen Vertrauen: „wir“, „zusammen“, „gemeinsam“.
Klick, du Sau: Reizwörter im (Online-)Journalismus
Artikel und Beiträge, die im Netz besonders viele Klicks erhalten, heißen in manchen Online-Redaktionen Klick-Schweine. Einige meinen damit bezahlte Klicks, mit denen die Aufrufe in die Höhe getrieben werden. Andere bezeichnen damit reißerische Bilder oder Überschriften, die Nutzer zum Klicken verführen sollen – auch bekannt als Clickbait (deutsch: Klick-Beute).
Bei Letzteren sind Reizwörter ein wichtiger Treiber. Im Gegensatz zur Werbung funktionieren hier jedoch Begriffe mit negativen oder brisanten Assoziationen besser. Beispiele sind „Sex, „Skandal“, „Blutbad“ oder „geil“. Auch Superlative und Übertreibungen wie „die besten“, „die größten“ oder „gigantisch“ ziehen Blicke auf sich. „Ein Teaser bekommt doppelt so viel Aufmerksamkeit, wenn seine Überschrift Reizwörter enthält“. Das bestätigt Balthas Seibolds Publikation „Klick-Magnete: Welche Faktoren bei Online-Nachrichten Aufmerksamkeit erregen“. Allen voran die BILD-Zeitung arbeitet seit Jahrzehnten erfolgreich damit.
Im Online-Journalismus bedeuten Klicks bares Geld und gutes Ranking. Die Versuchung ist also groß, reißerische Headlines zu verfassen. Parade-Beispiel dafür ist im deutschsprachigen Raum heftig.co. Aber auch vermeintlich seriöse Seiten wie Focus.de setzen teilweise auf reißerische Überschriften. Damit begeben sie sich auf dünnes Eis. Denn wer das Boulevard-Stilmittel überstrapaziert, riskiert, Stammleser zu verprellen und als unglaubwürdig abgestempelt zu werden.
Was riecht hier so streng: Reizwörter in sozialen Medien
In Zeiten von Facebook, Twitter und Youtube verbreitet sich Gesagtes oder Geschriebenes rasend schnell. Blöd, wenn ein unbedachtes Wort über die Lippen oder die Tastatur huscht. Gerade bei Personen des öffentlichen Lebens braut sich dann schnell ein Shitstorm zusammen. Oft spielen Reizwörter dabei eine entscheidende Rolle.
Wer einen Shitstorm auslösen „möchte“, hat mit Reizwörtern aus den Themenkreisen Nationalsozialismus, Sexismus und Rassismus sehr gute Chancen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann bezeichnete Roberto Blanco als „wunderbaren Neger“. Das hatte Folgen. Auch die Empörung über Schlager-Sternchen Michelles Vermutung, ein DSDS-Kandidat sei „vermutlich schwul“, war vorhersehbar.
Andere Shitstorms entstehen völlig unberechenbar. Generell ist es ratsam, sich über aktuelle Reizwörter bewusst zu sein. Und Äußerungen zweimal auf ihr Shitstorm-Potenzial zu prüfen. Aktuell verbrennt man sich die Finger mit unbedachten Äußerungen zu Flüchtlingen, TTIP, Daten-Vorratsspeicherung und Frauenquote. Auch in sozialen Medien gilt: Lieber auf absolutistische Formulierungen verzichten. Wörter wie „immer“, „niemals“, „jeder“ und „grundsätzlich“ lassen keinen Spielraum. Sie fordern geradezu heraus, heftig zu reagieren. Und wenn der Shitstorm trotzdem hereinbricht? Auf Provokationen nicht reagieren. Und Reizwörter in der Schublade lassen. Denn die tun nun mal, was sie tun sollen: reizen.
Quellen:
Slogometer auf www.slogans.de
Marketing-Blog Edel & Fein: „Warum kaufen Kunden? 8 Motive aus der Werbepsychologie“
Steffen Range und Roland Schweins: „Klicks, Quoten, Reizwörter: Nachrichten-Sites im Internet“
Balthas Seibold: „Klick-Magnete: Welche Faktoren bei Online-Nachrichten Aufmerksamkeit erregen“
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