Wir Menschen sind intelligent. Wir können Probleme lösen. Kommunizieren. Reflektieren. Entscheiden. Lernen. Und kreativ oder empathisch sein.
Besonders wichtig für diese Fähigkeiten sind Sinneseindrücke, das Erkennen von Mustern sowie innere Abbilder von Worten und Objekten. Bedeutsam sind auch Gefühle und die Reaktion der Umwelt – insbesondere unserer Mitmenschen. Und: sehr viel Übung.
Ist all dies gegeben, lernen wir vieles, ohne dass es uns jemand genau erklärt. Unsere Muttersprache zum Beispiel. Oder die Eigenschaften und die Bedeutung vieler Gegenstände. Oder wie man sich in einer Gruppe von Menschen verhält.
Was Maschinen intelligent macht
Computer haben nicht nur gelernt, zu sehen und zu hören. Sie entschlüsseln auch immer mehr von dem, was sie wahrnehmen. Geschriebenen Text verstehen sie schon seit Jahren in zig Sprachen. Musikstücke erkennt Shazam bereits seit 15 Jahren.
Gleichzeitig wurden zahllose weitere Sensoren und Schnittstellen erschaffen. Mit ihnen können Computer Informationen über Geo-Positionen nutzen. Sie verarbeiten aber auch Pulsfrequenzen und Wetterdaten. Verkehrssituationen und Börsenkurse. Trending Topics und Benutzervorlieben. Wohnzimmer-Temperaturen und Besucherströme.
Mustererkennung, Gedächtnis und Lernen. Das schaffen Maschinen inzwischen durch einen Ansatz, welcher der biologischen Informationsverarbeitung nachempfunden ist: neuronale Netze bzw. Deep Convolutional Neural Networks (DCNN).
Neuronale Netze: Trainieren statt Programmieren
Vereinfacht gesagt sind DCNN lernende Algorithmen. Sie zerlegen ein wahrgenommenes Objekt in sehr viele Eigenschaften (Features). So bringen sie vieldimensionale Ordnung in die Dinge. Durch Training – also häufiges Feedback zu den Arbeits-Ergebnissen des Algorithmus' – werden die Ordnung und die Verknüpfung der Inhalte immer feiner. Und die Antworten der künstlichen Intelligenz (KI) besser. Die Branche spricht auch von Deep Learning.
Auf diese Weise entstehen z. B. KI-Lösungen wie NEIL (Never Ending Image Learner). Das ist eine öffentlich nutzbare Lösung zur Bilderkennung. Ihr Ziel: der KI möglichst viel Weltwissen beibringen.
Inzwischen sind wir alle schon sehr an das Leben und Arbeiten mit neuer Intelligenz gewöhnt. Wir verpassen uns niedliche Hundeohren. Nutzen Übersetzungs-Lösungen. Chatten mit Bots. Lassen Algorithmen Aktien kaufen. Streamen Songs nach unserem Geschmack. Erhalten immer passendere Suchergebnisse. Und konsumieren einen auf uns zugeschnittenen Newsfeed in Facebook. Dies alles setzt lernende Algorithmen voraus.
Konkrete Nutzen im Marketing
Neben den genannten Anwendungen gibt es auch schon zahlreiche Lösungen im Marketing, die neue Intelligenz nutzen. Hier eine Auswahl:
- Boomtrain ermöglicht individualisierte Websites und E-Mails.
- Keyword Hero nutzt KI, um die in Google Analytics seit Jahren unterdrückten Suchworte wieder anzuzeigen, mit denen Besucher auf eine Website kamen.
- Wordsmith generiert aus strukturierten Daten organische Texte (z.B. für Sport-, Börsen- und Geschäftsberichte sowie Hotelbeschreibungen).
- Textforce analysiert die Verständlichkeit von Texten und schlägt Optimierungen vor.
- Spezielle Plug-ins für Sketch überprüfen die Barrierearmut von Designs für Menschen mit unterschiedlichen Wahrnehmungs-Einschränkungen.
- Die Lösung Albert findet für Kampagnen Adressaten und optimiert das Programmatic Advertising.
- Conversica ist eine KI, die Leads qualifiziert und so die Arbeit von Vertriebs-beauftragten unterstützt.
- Brandwatch erkennt mit Signals wichtige Veränderungen im Beitragsaufkommen in Social Media.
- IBM Watson macht künstliche Intelligenz in Form einer API und Services zur Erstellung eigener Lösungen für Unternehmen verfügbar (z. B. für den Bau intelligenter Chatbots).
- Google stellt mit Tensorflow KI-Kapazität als Cloud-Lösung bereit.
- Mit Alexa bietet Amazon ebenfalls eine sehr mächtige Suite an KI-Werkzeugen, die bereits einiges vom Wesen der Menschen verstanden haben.
Von smart zu empathisch
Der entscheidende Schritt in der persönlichen Nutzung von künstlicher Intelligenz wird Empathie sein. Algorithmen werden lernen, nicht bloß auf Basis von Wissen und unseres bisherigen Nutzungsverhaltens Angebote zu machen. Sondern aufgrund von Situation und Stimmung.
Persönliche Assistenten lernen uns kennen und einschätzen. So werden sie für uns nützlicher und vertrauter. Das schafft eine viel stärkere Bindung und wird sich nicht nur auf Smartphones beschränken. Sowohl Automobilhersteller als auch die Smarthome-Branche arbeiten genau daran.
Nicht immer gleich urteilen. Erst mal lernen.
Es ist schwierig, ich weiß. Aber wir erleben gerade einen Evolutionsschritt. Da kommt es darauf an, sich auf neue Rahmenbedingungen einzustellen. Mein Rat an Unternehmer und Markenverantwortliche ist daher:
Erliegen Sie nicht der Versuchung, sich über die Missgeschicke der KI lustig zu machen. Bewerten Sie nüchtern die Chancen. Die Geschwindigkeit der Entwicklung ist rasant. Vieles, was vor wenigen Jahren noch nicht denkbar war, kann KI inzwischen so gut wie oder sogar besser als die meisten Menschen.
Es stimmt, die meisten neuronalen Netzwerke sind Fachidioten. Je nachdem, wie sie trainiert wurden, sind sie in einem speziellen Bereich exzellent. Dafür lassen sie ganz basale andere Fähigkeiten vermissen. Das ist ja bei Menschen oft nicht anders: Die Leistung und Kreativität eines Teams entstehen aus der Diversität der Mitglieder.
Denken Sie also nicht: „Wie kann ich belegen, dass wir besser sind als ein Computer?“ Die zielführende Überlegung lautet: „Wie können wir menschliche und künstliche Intelligenz zu einer neuen Intelligenz verbinden, um besser oder schneller zu arbeiten? Um neue Lösungen zu kreieren? Oder um ganz neue Services zu bieten?“
Die künftigen Fragen im Marketing
Aus den genannten Entwicklungen ergeben sich für mich spannende Fragen für das Marketing:
Welche veränderten Mensch-Maschine-Kommunikationen sind interessant?
Wenn nicht mehr getippt und geklickt wird und Internetnutzung nicht mehr automatisch bei Google beginnt, wie kommuniziert eine Marke dann?
Wie sieht Marketing aus, wenn Algorithmen kaufen?
Wie schafft man es ins Relevant Set der persönlichen Assistenzsysteme?
Wie sehr kann Kommunikation individualisiert werden, ohne die Markenidentität zu unterlaufen?
1-zu-1-Kommunikation ist sehr effektiv und wird durch KI auch im großen Maßstab möglich. Wie weit können Inhalte, Sprache, Tonalität, visuelle Erscheinung einer starken Marke an den Adressaten angepasst werden?
Netflix beginnt z. B. gerade damit, KI nicht bloß die Auswahl der individuell vorgeschlagenen Titel zu überlassen. KI sucht auch die passenden Bildmotive aus.
Wer trägt die Verantwortung?
Computer definitiv nicht. Wie können wir sicherstellen, dass Algorithmen im Rahmen der Unternehmensethik agieren?