In massiven Kampagnen wird True Fruits Rassismus und Sexismus vorgeworfen. Der Stein des Anstoßes schwelt schon seit 2017, als das Unternehmen seine Produkte in Österreich mit einer vielfach missverstandenen Kampagne einführte.

Satire: Vorsicht, Missverständnisse vorprogrammiert!

Mit den Mitteln der Satire protestierte True Fruits in seiner Kampagne gleichzeitig zur Markteinführung gegen die restriktive, auf Abschottung bedachte Flüchtlingspolitik und den lauten Rechtspopulismus bei unseren Nachbarn im Süden. Das Abbild der schwarzen Smoothieflasche (der „Quotenschwarze“ in einem anderen Motiv) neben Slogans wie „Schafft es selten über die Grenze“ (ja, „warum wohl?“ sollte man sich fragen – die Intention wird dann klarer) spielen sicherlich mit der Grenze des guten Geschmacks oder überschreiten sie. Doch die Nutzung des Vokabulars des Gegners um diesen zu entlarven, ist gängiges Mittel der Satire. Zusätzlich nutzte man den Hashtag #jetztösterreichts – einen #aufschrei gegen die als menschenfeindlich empfundene Abschottungspolitik Österreichs. Die Kritik an der Kampagne ist nie ganz abgeebbt, momentan ist sie Grundlage des Rassismus-Vorwurfs.

Der Kontext dieser Kampagne (ebenso wie das Motiv „Bei uns kannst du kein Braun wählen“) wird im gegenwärtigen Shitstorm allerdings nur allzu gerne verschwiegen. Und ohne den Kontext offenbart sich in der Tat ein verheerendes Bild, wie z.B. diese Kolumne in der taz zeigt. Liest man sich die Kommentare dazu durch, erkennt man aber auch: Es gibt überall Fans der Marke, die so etwas wieder geradezurücken versuchen. Auch auf den Social-Media-Kanälen von True Fruits finden sich viele treue Fans der Marke, die die Standhaftigkeit loben, mit der man nicht gleich jeder bei Kritik, die man als absurd empfindet, einknickt und in die bekannten Entschuldigungsrituale verfällt. Diese loyalen Fans hat sich True Fruits mit seinem polarisierenden, von Humor (ob gutem oder schlechtem muss jeder für sich entscheiden) bestimmten Marketing erarbeitet.

Werte im Wandel und fehlender gesellschaftlicher Konsens: gefährlich!

Der andere Stein des Anstoßes sind Werbemotive mit zweideutigem sexuellen Kontext. Beispiele: Mit „Oralverzehr – schneller kommst du nicht zum Samengenuss“ oder „Bei Samenstau schütteln.“ bewirbt man einen Smoothie mit Chiasamen (die sich unten in der Flasche absetzen). Sexismus? „Harmloser, doppeldeutiger Humor“, sagen die einen, „Sexismus“ die anderen. Wenn man Ruhe auf den eigenen Kanälen wünscht, ist solches Marketing sicherlich der schlechteste Weg – so schafft man Aufmerksamkeit. Oder nehmen wir „Abgefüllt und mitgenommen“, womit das Unternehmen die „Rape Culture“ befördere. Nun mag man sich über das Menschenbild wundern, das möglicherweise hinter der Argumentation steckt, der Slogan würde Vergewaltigung befördern, indem er dem Konsumenten gegenüber dieses Verbrechen verharmlose. Fragwürdigkeit muss man dem Slogan allerdings attestieren.

Lässt sich gegen den Rassismus-Vorwurf noch recht leicht mit Hilfe des Kontextes argumentieren, wiegt die Anschuldigung des Sexismus schwerer, denn die Slogans sind nicht satirisch. Es gibt keinen Kontext, der entschärfend wirken könnte. Seit Beginn der #metoo-Bewegung zeigt sich, dass es noch keinen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, was genau sexistisch ist und was nicht.  Es sind – von eindeutigen Verfehlungen, wie sie auch vorher schon beim Werberat landeten, abgesehen – in der Hauptsache individuelle Empfindungen, die die Einordnung bestimmen. Hier ist gerade ein gesellschaftlicher Wandel in Gange, entsprechend breit gefächert sind die möglichen Ansichten, ob eine Aussage nun Sexismus ist oder nicht. Ebenfalls ist die Sensibilität in diesem Bereich stark gestiegen. Entsprechend ist bei solchen Themen große Vorsicht geboten.

Die Vorwürfe gipfeln nun in mehreren Petitionen an den Handel, mit dem Ziel die Produkte der Marke nicht mehr zu verkaufen. Damit verknüpft ist möglicherweise die Hoffnung, mit den Supermärkten auf einen Gegner zu treffen, der weniger hartnäckig ist als das eigentliche Ziel. Diese Strategie könnte tatsächlich gefährlich werden für True Fruits, denn in diesem Fall können sie nicht auf die Hilfe ihrer ergebenen Fans hoffen. Höchstens durch Gegenpetitionen, die aber vermutlich weniger erfolgversprechend sind, da sich mit Rassismus- und Sexismus-Vorwürfen leicht eine große Anzahl an Menschen aktivieren lässt – völlig zurecht. Es ist dabei übrigens typisch True Fruits, dass sie selbst die Petition auf ihrer Facebook-Seite teilen, mit dem etwas fatalistischen Kommentar: „Falls der Druck auf die Supermärkte zu groß wird und wir verbannt werden: Danke für die gute Zeit! Dann müsst ihr es reißen, innocent“.

Worst Case Szenario: Der Gegner klatscht Beifall

Zuvor hatte das Unternehmen dort schon eine Stellungnahme zu den Vorwürfen veröffentlicht. Der Text mit dem Meme „Ja, wir sind diskriminierend“ mit dem Zusatz: „Diese Werbung könnte von dummen Menschen missverstanden werden“ ist für einen Social-Media-Beitrag außergewöhnlich lang. Er wehrt sich gegen die Anschuldigungen und schildert noch einmal den Kontext zur Österreich-Kampagne. Allerdings nicht nur das: True Fruits lässt sich auch dazu herab, die Kritiker zu beschimpfen („Dumme“, „Pissnelken“, „Fuck you“). Das ist schlechter Stil und hätte nicht notgetan. Denn mit solch arroganten Entgleisungen kann man sich durchaus loyale Fans abspenstig machen, weil sie bloße Pöbelei eben nicht gutheißen.

Davon abgesehen findet das Unternehmen haufenweise Reaktionen vor, die ihm in seiner Standfestigkeit den Rücken stärken und abfeiern.

In noch einer Hinsicht ist der Rechtfertigungsschrei – und auch der gesamte Shitstorm – problematisch: Er hat einen Aspekt in den Vordergrund gerückt, der das Unternehmen in die Ecke stellt, in der es sich so überhaupt nicht wiederfinden will – die rechte Ecke. Die vielen Shitstorms, die aus Anlässen losgetreten wurden, die viele Menschen nur ungläubig den Kopf schütteln lassen, haben den Begriff der „Dauer-/Berufs-/Zwangsempörten“ groß gemacht. Genau das ist eine Haltung, die verdammt oft AfDler und Konsorten an den Tag legen, wenn sie gegen eine angeblich überbordende politische Korrektheit und vermeintliche Sprachverbote wettern und diese als Eingriffe in die Meinungsfreiheit zu diffamieren versuchen. Und so findet sich auch Zuspruch für True Fruits im tendenziell rechten (rechtskonservativ) Milieu, wenn beispielsweise die schweizer Journalistin (die u.a. für das mitunter als rechtspopulistisch geltende Medium „Tichys Einblicke“ schreibt) und Vloggerin Tamara Wernli auf ihrem YouTube-Kanal laut Beifall klatscht dafür, dass True Fruits contra gibt gegen die „Tyrannei der Dauerempörten“.

Fazit

Anhand des Rassismus-Vorwurfs und des Beifalls aus unliebsamer und teilweise auch fragwürdiger Ecke zeigt sich, dass Satire in der Werbung ein zweischneidiges Schwert ist. Denn sie trifft nicht nur auf die Lieber derer, die das toll finden. Es besteht immer auch die Gefahr, dass sie nicht verstanden wird. So auch im Kölner Stadt-Anzeiger, der ein moralloses Werben mit Skandalen unter Zuhilfenahme „rassisitischer Signifikanten“ zur Profitmaximierung sieht. Oder dass es Menschen gibt, die sie missverstehen wollen. Oder dass sie letztlich doch denen in die Hände spielt, gegen die sie sich eigentlich wendet. Gerade der zeitliche Abstand zur Österreich-Kampagne macht den Fall noch schwieriger, da der Kontext mit der Zeit verloren geht bzw. in Vergessenheit gerät. Insofern sollten Werbetreibende von satirischen Äußerungen zu Flüchtlingspolitik oder ähnlich sensiblen Themen lieber die Finger lassen. Das gleiche gilt für vermeintlich „flotte Sprüche“ mit sexuellem Inhalt. Wie oben beschrieben, findet hier gerade ein gesellschaftlicher Wandel statt. Selbst Sprüche die heute gemeinhin als unverfänglich durchgehen, können in wenigen Jahren schon als handfester Sexismus gelten. „Das Internet vergisst nicht“ ist in solchen Fällen eine große Gefahr.

Einen solchen möglichen Wandel, genauso wie die „Empörungskultur“ im Netz sollten Unternehmen und Agenturen vor Augen haben, wenn sie so Aufmerksamkeit erregen wollen. Eine Risikoanalyse ist angesagt: Ist Kritik wahrscheinlich? Wie gefährlich wäre die Kritik? Wird sie tatsächlich laut, gilt es abzuwägen: Beruht sie auf einem Missverständnis? Dann sollte das korrigiert werden. Man muss deswegen nicht gleich einen Kotau machen, sondern kann weiterhin zu seiner Aussage stehen, wenn sich das Missverständnis ausräumen lässt. Das gilt auch für absurde Kritik, die auf die allermeisten Menschen an den Haaren herbeigezogen wirkt. Auch sollte man sich eher auf eine höfliche Klarstellung beschränken. Anders sieht die Sache aus, wenn die Empörung groß ist, von vielen Menschen geteilt wird. Dann lag man vermutlich wirklich neben der Spur und hat schlechte Kommunikation betrieben und damit viele vor den Kopf gestoßen. Ist das der Fall, sollte eine aufrichtige Entschuldigung folgen und Einsicht, dass man einen Fehler gemacht hat. Zumindest wenn man – anders als True Fruits – eine Eskalation vermeiden möchte.

Abschließend noch zwei mal „übrigens“

1. Getränkeproduzent Eckes Granini, die zu 35 % an True Fruits beteiligt sind, reagieren nach außen hin ganz unbeeindruckt. Das Fachmagazin Horizont zitiert das Unternehmen so: „Wir legen großen Wert auf die unternehmerische Freiheit und haben bereits beim Erwerb der Anteile betont, dass True Fruits weiterhin völlig unabhängig und eigenständig operieren wird. Diese Eigenständigkeit der einzelnen Firmen entspricht der Philosophie der Eckes-Granini-Gruppe. Wir werden deswegen unternehmerische Entscheidungen – wie das Marketing – nicht kommentieren.“

2. Es ist auffällig, dass die angeblich oder tatsächlich Diskriminierten in Diskussionen wie der vorliegenden meist überhaupt nicht gefragt werden. Sie können mitunter nämlich sehr locker reagieren: „Auf einer Abi-Abschluss-Veranstaltung, die ich besuchte, saß hinter mir ein ca. 17-Jähriger sehr dunklen Hauttyps, der mit einem Mädchen auf ihrem Handy Fotos betrachtete. Dann sagte er plötzlich: “Hattest Du da den Blitz nicht an? Ach so: das bin ja ich!” Darf er das nicht, und hätte ich betroffen sein müssen, ihn vielleicht sogar belehren, statt mich gemeinsam mit anderen lachend zu ihm zu wenden?“ sagt ein Kommentar zu einem „Leitfaden für Dauerempörte“. Oder bei True Fruits:

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