Diese Erfahrung hat nun gerade die AOK Rheinland/Hamburg gemacht. Gestern mittag veröffentlichten sie auf ihrer Facebookseite eine Empfehlung zur Ernährung in der Schwangerschaft. Darin raten sie Schwangeren von einer veganen Ernährung ab. Es war vollkommen klar, dass Widerrede nicht lange auf sich warten lassen würde. Es war ebenso klar, dass sich die Diskutanten in den Kommentaren kräftig austoben würden. Jeder, der über ein Minimum an Erfahrung in Sachen Social Media verfügt, weiß das. Und so kam es dann auch. Rund 500 Kommentare in 24 Stunden zu wirklichem Content, das ist schon eine Menge.

Es ist kein großes Wunder, dass sich einige Veganer so äußern, wie das Klischee es von ihnen erwartet. Da ist dann von „Leichenfresserei“ und vergleichbarem die Rede, während die Gegenseite höhnisch auf die „Pflanzenfresser“ eindrischt – absolut vorhersehbar. Doch nun das große Aber: Gerade von den Veganern stammen in dieser Diskussion viele Beiträge, die nicht durch moralische Überhöhung, sondern durch trockene Fakten bestechen. Die zudem einen sachlichen Tonfall anschlagen. Die von (soweit ich beurteilen kann) seriösen Studien und Ernährungsorganisationen (u.a. die WHO) berichten, die ganz anderes aussagen als die AOK.

Die Krankenkasse hält sich in ihren Empfehlungen an die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die jedoch ist selbst nicht frei von Kritik. Ich habe es nicht gezählt, wie oft betont wurde, dass die Richtlinien der DGE auf einem hoffnungslos veralteten Stand seien. Diese Kritik üben übrigens nicht nur User und bloggende Ernährungsapostel. Auch in den Medien wurde in letzter Zeit verstärkt Widerspruch gegen die seit Jahrzehnten geltenden (und von Zeit zu Zeit leicht modernisierten) DGE-Empfehlungen laut, z.B. beim NDR oder im Ärzteblatt.

Es kommen in diesem Fall also gleich mehrere Punkte zusammen, die einer Marke schaden können: Autoritäten folgen, die veraltete Lehrmeinungen vertreten. Ein Reizthema, das polarisiert und die jeweiligen Anhänger mobilisiert. Und schließlich, das blieb bisher unerwähnt: eine Marke, die einfach abgetaucht ist, von der Bildfläche verschwunden. Denn die AOK hat sich nach dem Post überhaupt nicht mehr eingemischt. Nicht um ihre Meinung zu vertreten, zu begründen, nicht um zu moderieren, zu deeskalieren.

Fast könnte man den Eindruck gewinnen, die Devise der AOK RL/HH sei gewesen: „Lasst uns mal einen raushauen und zuschauen, was dann passiert.“ (Denn, wie oben schon erwähnt, dass so ein Post heftige Reaktionen provoziert, muss im Vorfeld klar gewesen sein.) Das ist auch einer Reihe von Usern (also quasi „Fans“, zumindest aber an der Marke Interessierten) aufgefallen. Sie tun ihr Missfallen oder ihre Verwunderung darob denn auch in den Kommentaren kund. Aber es gibt keine Reaktion, keine Stellungnahme. Kurzum: Die AOK RL/HH gibt in diesem Mini-Shitstorm kein gutes Bild ab.

Deswegen der Rat: Wer sich in Social Media positioniert und Themen berührt die polarisieren, der sollte sich vorab eine Strategie zurechtlegen. Dazu gehört: Reaktionen antizipieren. Also eine Strategie, wie man auf Anwürfe, ob nun gerechtfertigt oder nicht, reagiert. Einen Plan, wann und wie man moderierend eingreift. Also von der Antizipation zum Management. Und wie man schädliche Auswirkungen auf die Marke abwenden oder drehen kann. Davon ist in diesem Fall nichts zu sehen.

Die User gewinnen also folgenden Eindruck: Krankenkasse postet etwas Kontroverses – User reden gegenan (faktengestützt) und gegeneinander (Spott und persönliche Angriffe) – Krankenkasse ist unsichtbar, kümmert sich nicht, zeigt keine Kompetenz. Das ist umso bedauerlicher, als dass sich vielfach in den Kommentaren Aussagen wie diese finden: „Bei solch einer Aussage bin ich echt am überlegen, ob wir nicht die Krankenkasse wechseln sollen…“ und daraufhin nicht nur Zuspruch bekommen, sondern auch ganz konkrete Tipps, bei welcher Krankenkasse sie denn vermutlich besser aufgehoben seien. Das ist in der Tat eine Schädigung der Marke – eine selbst provozierte.

Update, 26.07.

Gestern Abend, also gut einen Tag nach Veröffentlichung des Posts, hat die AOK auf das Schietstürmchen reagiert und eine Stellungnahme hinzugefügt. Dort relativiert sie ihre doch ziemlich absolute Aussage vom Vortag. Auch diese Stellungnahme haben die User vielfach kommentiert, über 200 mal. Und der Tenor ist nicht positiv: von „Zurückrudern“ ist die Rede, auch inhaltliches wird an dieser Stellungnahme kritisiert. Lob für die Korrektur der ursprünglichen Aussage erhält die AOK fast keines. Es ist wohl eher ein mehr oder weniger fehlgeschlagener Versuch, die Lage wieder zu beruhigen. Die Lage wird sich wieder beruhigen, keine Frage, aber mit dieser ungeschickten Stellungnahme hat man eher für ein erneutes sich-aufbäumen in der Userschaft gesorgt.

Wie hätte man es besser machen können? Zuerst einmal: Wenn man merkt, man hat einen Fehler gemacht – gib es zu. Der Fehler war Absolutheit der ursprünglichen Aussage. Nach dem Zugeben des Fehlers, was nicht geschehen ist, sollte man ihn korrigieren. Das ist auch nicht geschehen. “Vegan ernähren – lieber nicht!” steht dort immer noch. Das ist der eigentliche Zankapfel. Daran ändert auch die Relativierung am Folgetag nichts.

Heiß auf Insider-Infos?

Immer up to date: Unser Newsletter versorgt dich einmal monatlich mit brandneuen Trends und Innovationen aus der Kommunikationswelt.

Newsletter bestellen