Gebrandmarkte Hinterteile, ölverschmierte Vögel, blutige Uniformen gefallener Soldaten statt Pullis und Hosen. Benettons Schockkampagne ist fast 20 Jahre her, blieb aber im Gedächtnis – obwohl sie rein gar nichts mit dem Produkt des Unternehmens zu tun hatte. Man wolle nicht für die eigenen Modelinie werben, sondern auf Missstände in der Gesellschaft aufmerksam machen, hieß es in der Begründung der Kampagne. Empörte Bürger klagten bis zum Bundesverfassungsgericht gegen die umstrittenen Darstellungen, mussten sich jedoch im Jahr 2000 geschlagen geben, als das Gericht entschied, dass die Werbung zulässig sei. Aufmerksamkeit bekam Benetton mit der Kampagne also genug. Aber war es deshalb gute Werbung?
Aufmerksamkeit um jeden Preis?
Man mag von den provokanten Benetton-Anzeigen halten, was man will – sie brennen sich ins Gedächtnis. Wie übrigens jede Art der Schockwerbung. Dabei spielt es fast keine Rolle, ob die Kampagne ekelerregend ist, Angst macht, Mitleid auslöst oder überhaupt ein Thema angesprochen wird, das uns persönlich interessiert. Schockwerbung ist nämlich immer, egal in welcher Form, nicht das, was wir von Werbung erwarten. Durch diese Inkonsistenz zwischen Erwartung und Realität sinkt die Wahrnehmungsschwelle im entscheidenden Moment erheblich. Mitunter steigt dann sogar die Bereitschaft, weitere Informationen aufzunehmen. Ein Übersehen ist somit nur sehr schwer möglich. Und aufgrund des Schocks werden die Werbung und die damit assoziierte Marke am Ende auch noch besser erinnert. An dieser Stelle mag der findige Marketingleiter vielleicht denken „Hey, das ist doch gut!“ und hat damit im Prinzip auch Recht. Allerdings sollte bedacht werden, dass die der Schockanzeige gezollte Aufmerksamkeit auf Überraschung beruht. Und bekanntlich gibt es derer sowohl gute als auch böse.
Toyotas Telefonterror
Im Jahr 2009 wurde Toyota von einer Amerikanerin verklagt, die sich im Zuge der Schockkampagne zur Einführung des Toyota Matrix stark bedroht gefühlt hatte. Innerhalb der Aktion „YourOtherYou“ rief der Autohersteller dazu auf, Kontaktdaten von Freunden preiszugeben. Diese erhielten dann bedrohliche E-Mails und einschüchternde Anrufe von einem fiktiven Charakter – im Fall der späteren Klägerin einem betrunkenen Hooligan, der sich als alter Bekannter ausgab und einen baldigen Besuch ankündigte. Erst nach tagelangen Belästigungen löste eine E-Mail die Situation auf. Die Begründung der Agentur für die ungewöhnliche Kampagne: Mittzwanziger seien verrückt danach, sich gegenseitig Streiche zu spielen. Werbung dagegen komme bei ihnen gar nicht gut an. Der Grundgedanke war also, beides zu verbinden und so junge Leute für Toyota zu begeistern. Mit dem eigentlichen Produkt hatte die Aktion jedoch wenig zu tun.
Kalkulierter Ekelfaktor
Macht es denn überhaupt Sinn, Verbraucher mit extremen Mitteln zu schocken? Oder ist die Gefahr, Konsumenten zu verschrecken, zu groß und man lässt lieber die Finger davon?
Kommt drauf an. Schockbotschaften machen vor allem dann Sinn, wenn Abschreckung ganz konkret erwünscht ist. Das ist zum Beispiel die erklärte Botschaft der Fotos auf Zigarettenpackungen. Immer mehr Länder gehen dazu über, neben informativen Sätzen bezüglich der Nebenwirkungen des Rauchens auch ekel- und angsterregende Bilder von Krebspatienten abzubilden. Jüngstes Beispiel ist Australien, wo ab Dezember 2012 die Zigaretten sogar in einer Einheitsverpackung mit Schockfoto daher kommen. In seiner Wirksamkeit bereits belegte Beispiel sind Schockvideos von Greenpeace, die sehr deutlich und mit radikalen Bildern auf gesellschaftliche Missstände hinweisen.
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Etliche Zuschauer reagierten wunschgemäß empört und schlossen sich Greenpeace im Kampf gegen die kritisierten Großunternehmen an.
(Er)lösung bitte!
Geht es um den Verkauf von Produkten, ist Schockwerbung dann ein sinnvoller Weg, wenn sie zum Produkt passt bzw. im gleichen Atemzug eine Lösung für das Schreckensszenario präsentiert. 2004 sorgte die Werbung des Koffeingetränks K-Fee für Furore.
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Der Fernsehspot zeigt sekundenlang eine friedliche Naturszene. Plötzlich springt eine schreiende Zombiegestalt vor die Kamera. Der Abspann höhnt „So wach warst du noch nie“. Zwar wurde der Spot nach zahlreichen Zuschauerbeschwerden verboten, sorgte jedoch für extreme Aufmerksamkeit – nicht zuletzt, weil die Verbindung Erschrecken-Adrenalin-Kaffee logisch und nachvollziehbar war.
Weniger radikal, aber dennoch ungewohnt plastisch, wirbt die Zahncreme Parodontax. Im Spot sieht man zunächst, wie blutbefleckte Zahnpasta im Waschbecken landet. Schließlich fällt noch ein Zahn dazu. Die Lösung: Parodontax. Zugegeben – der Spot ist nicht kreativpreisverdächtig. Aber er zeigt, ungeachtet möglichen Ekels, was sich bislang niemand traute. Und bleibt somit im Kopf.
Was wagen?
Zusammenfassend bleibt zu sagen: Geht es bei Schockwerbung um Aufmerksamkeit um jeden Preis, raten wir ab. Nicht die rechtlichen Folgen sind das Problem – vielmehr verwirren und verärgern zusammenhanglose Aktionen wie von Benetton und Toyota die Konsumenten.
Gut überlegte Schockwerbung dagegen mögen wir. Denn sie bringt Abwechslung ins oft allzu austauschbare Werbe-Allerlei. Und Aufmerksamkeit für die Auftraggeber. Stellen Sie sich mal vor, eine Unfallversicherung würde einen Unfall zeigen – und nicht kurz davor ausblenden. Vielleicht wären die Zuschauer entsetzt. Vielleicht aber auch nicht. Der Spot für die Paralympics 2012 zumindest, in dem die Umstände, die zu den Behinderungen der Athleten führten, schonungslos gezeigt werden, sorgte für Begeisterung. Warum also nicht mal etwas wagen?
Quellen:
Buch: „Einsatz von Schockwerbung im Marketing – How to shock the right way …“ von Jonas Tonat
Bild: United Colours of Benetton