Ihr neuester Werbespot, der ebenfalls in dieses Horn stößt, stößt vielen allerdings sauer auf. (Siehe Gallerie unten)

Sollen Marken für Werte stehen, für Werte eintreten? Das ist die übergeordnete Frage, die hinter diesem Fall steht. Aber erst einmal ein paar Zahlen: Seit vier Tagen ist das Video auf dem Gillette-YouTube-Kanal verfügbar. Es wurde in dieser Zeit über 15 Millionen mal angesehen, eine knapp 370.000 User gaben einen hochgestreckten Daumen, gut eine Dreiviertelmillion senkten ihn. Über 200.000 Kommentare finden es in ihrer übergroßen Mehrheit doof, dass die Marke sich in ihrer US-Kampagne gegen Mobbing, sexuelle Belästigung und Sexismus oder körperliche Gewalt ausspricht und betont, dass wir auch besser sein können: „Bullying. Harassment. Is this the best a man can get? It’s only by challenging ourselves to do more, that we can get closer to our best.“ Und in den nächsten drei Jahren drei Mio. US-$ an Non-Profit-Organisationen spenden will, die ebenfalls dieses Ziel vertreten.

Ich möchte jetzt gar nicht anfangen zu psychologisieren. Auch nicht die Rolle der Geschlechter in der #metoo-Debatte, an die der Spot anlehnt, erneut thematisieren. Dennoch: bei vielen meiner Geschlechtsgenossen scheint es eine Art Pawlowschen Reflex zu geben, wenn das, was der Guardian als „toxic masculinity“ bezeichnet, auf den Tisch kommt – also nicht im Sinne von: „Boah, bist du männlich“ sondern eher im Sinne von: „Meine Güte, bist du ein Neandertaler!“ Da wird dann ständig gejammert, der Spot sei sei anti-männlich und anti-weiß. Nun ja, Neandertaler waren Europäer und man stellt sie sich zuerst als männlich vor. Anscheinend spielen antiquierte Geschlechterbilder noch immer eine große Rolle.

Die Frage, die sich mir an dieser Stelle auftut, ist die nach der Repräsentativität. (YouTube wird, was die Kommentare angeht, ja gerne als „Abfallgrube des Internet“ bezeichnet.) Ich persönlich finde den Spot sehr gut, und meine, dass man ihn als vernunftbegabtes Wesen nicht rundherum ablehnen kann. Ich kann mir auch schwerlich vorstellen, dass eine deutliche Mehrheit in einer modernen Demokratie ein so deutlich vormodernes Selbstverständnis hat. Im letzten Jahr veröffentlichten das Institute for strategic dialogue und der Verein #ichbinhier eine Studie zu Hasskommentaren im Internet. Mit dem Ergebnis, dass die Halb- und Vollnazis, die die Kommentarspalten unter Posts zu Flüchtlingsthematik, Medien- und Meinungsfreiheit etc. zu dominieren scheinen, nur eine Minderheit sind. Wenige, die dafür umso lauter schreien. Ohne Belege dafür zu haben, nehme ich an, dass es im Falle Gillette ähnlich ist: Laute Machos vs. stille moderne Männer. Getroffene Hunde bellen?

Eine – nur auf den ersten Blick interessante – Frage werfen einige Kommentare auf: Wie nämlich eine weibliche Version des Spots aussähe. Die Frage stellt sich allerdings nicht. Zwar gibt es all die angesprochenen Verfehlungen auch von Frauen, jedoch nicht in relevanter Anzahl (bedauerliche Einzelfälle), und vor allem nicht durch überkommene gesellschaftliche Strukturen gefördert und gedeckt. Ein wenig interessanter sind dagegen die Dauerbeleidigten, die jedesmal, wenn ihnen eine Kleinigkeit nicht passt, sofort zur nächsten Marke wechseln wollen. Solche Boykottaufrufe sind üblich, ein paar der Schreier werden es auch tun (und nach einer Zeit vergessen haben, warum sie überhaupt die Marke gewechselt haben und möglicherweise bald zurückkehren). Das ist halt eines von vielen Geschäftsrisiken, wie auch die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf US-Wirtschaftler betont. Dennoch, so ihr Tenor, sollten Unternehmen für Werte einstehen.

Die Frage nach dem Geschäftsrisiko ist eine ambivalente: Klar, wenn man für Werte einsteht, macht man sich nicht bei jedem beliebt. Insofern sollte man es sich gut überlegen, welche Werte dies sind. Solche, die so rückständig oder so sehr ihrer Zeit voraus sind, dass sie keinen Rückhalt in der Gesellschaft haben, eignen sich eher nicht, wenn man nicht genau diese Nische besetzen und dort bleiben will. Stattdessen sollten Unternehmen, die sich positionieren wollen, in aktuelle gesellschaftliche Diskussionen einmischen, auch auf die Gefahr hin, bei einigen anzuecken. Ihre Meinung muss dann auch zur Marke bzw. zum Unternehmen passen. Da kann man einiges falsch machen. Sollten Unternehmen also lieber schweigen bzw. alle Ecken und Kanten abschleifen, um nur ja niemandem nicht zu gefallen? Wer nur Werte unterstützt, die schon so allgemein anerkannt sind, dass ihre Erwähnung quasi obsolet ist – der kann es auch gleich sein lassen. Er wäre nämlich nur ein stromlinienförmig rundgelutschter, identitätsloser Trittbrettfahrer.

Um kurz zurückzugreifen auf den schon genannten Bericht in der Süddeutschen: Unternehmen sollten sich positionieren. Tun sie es nicht von sich aus, so fordern engagierte Kunden oder Aktionäre dies ein. Die einen eher aus ethischen Gründen, die anderen aus geschäftlichen, denn solche Unternehmen sind meist auch wirtschaftlich erfolgreicher. Die Werte, die ein Unternehmen vertritt und fördert, zahlen laut Sustainability Image Score zu 19% auf das Unternehmensimage ein, der zweitstärkste Faktor, nur knapp hinter der Qualität der Leistung.

Etwas schwieriger wird es, wenn diese Positionierung auch direkt mit Politik in Verbindung steht. Letztes Jahr ermittelte eine Umfrage, dass eine Mehrheit der Deutschen (58%) wünscht, dass sich Unternehmen politisch neutral verhalten. Wobei sich allerdings eine Spaltung offenbart: Die Anhängern der Parteien des linken Spektrums befürworten eine politische Positionierung eher, während die Wähler von CD(S)U, FDP und insbesondere AfD dies mehrheitlich ablehnen. Dies kann man als den Zwiespalt zwischen „Übernehmt Verantwortung!“ und „Macht Geschäfte und haltet euch aus allem Anderen raus!“ Böse Zungen könnten nun einwerfen, dass letztere Haltung schon in den 1930ern ganz prima funktioniert habe, aber das wäre ein unpassender Vergleich. Es gibt allerdings Themen, wo ein Standpunkt und damit auch eine Einmischung sinnvoll ist. Nämlich dort, wo die Probleme drängend sind.

Generell gilt folgendes: Es gibt Leute, die ein Eintreten für Werte als Belehrung oder gar Bevormundung ablehnen. Die Mehrheit schätzt es aber, wenn Unternehmen Verantwortung übernehmen. Wenn sich ein Unternehmen positioniert, dann sollten die Werte zum einen passen und zum anderen keine allgemein akzeptierte Selbstverständlichkeit sein. So gerüstet kann man sich in gesellschaftliche Diskussionen einmischen und versuchen, das Land ein Stück nach vorne zu bringen. Um abschließend den Bogen zurück zu Gillette zu schlagen: In meinen Augen hat man mit dem Spot einen Treffer gelandet. Das zeigt einerseits das Aufjaulen der Ewiggestrigen und andererseits die Unterstützung, die die Marke erhält. Nicht nur von Medien, sondern auch von den Konsumenten. Auf der Facebookseite von Gillette sind die Reaktionen nämlich ganz andere als auf YouTube: Dort erhielt das Video rund 70.000 Likes, in etwa genausoviele Loves und nur 7.600 Wutköppe. Das ist deutlich! 

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