Als ich zuletzt für eine Woche in Schanghai war, habe ich erlebt, was ich bis dahin nur aus den Medien kannte: Die Menschen dort sind rund um die Uhr am Smartphone. Selbstverständlich und überall. In einem Maße, wie ich es selbst aus deutschen Großstädten nicht kenne.

Die Leute chatten natürlich. Sie lesen Artikel. Schauen Nachrichten. Spielen, bezahlen Rechnungen und buchen Flüge oder Arzttermine. Für all diese Aktivitäten verwenden sie aber nur eine App: WeChat.

Was ist WeChat?

In den 7 Jahren seit Veröffentlichung hat sich WeChat vom einfachen Messenger à la WhatsApp zur führenden Mobile-Service-Plattform in China entwickelt. 2 Schlüsselfunktionen haben dies ermöglicht:

App-in App-Konzept

Innerhalb von WeChat bieten Unternehmen ihre Services an. Dabei handelt es sich um Millionen (!) kleiner Websites. Sie heißen „official accounts“ und werden nach einer kurzen Registrierung in WeChat veröffentlicht. Ein Account wird sichtbar, wenn der Benutzer es sucht. Danach bleibt das Konto wie eine App bzw. wie ein Link auf dem WeChat-Bildschirm sichtbar. Ohne Browser mit Lesezeichen. Ohne Installationsprozess im App-Store.

Datenaustausch der Apps

Die "official accounts" können auf Funktionen und Daten von WeChat zugreifen. Besonders wichtig sind Payment, Aufenthaltsort, Direct Messages und Benutzer-Kennungen.

Ich kann es gar nicht genug betonen: Allein der Zugriff auf hinterlegte Zahlungsinformationen vereinfacht Käufe und Buchungen enorm. Schon aus Bequemlichkeit wickelt der Nutzer also möglichst viele Transaktionen innerhalb der App ab.

Zahlungen erfolgen dabei nicht nur online, sondern auch offline in Geschäften und Restaurants. Das geschieht meist über QR-Codes. Verfügbar ist die Zahlungsfunktion namens WeChat Wallet bisher allerdings nur in China, Hongkong und Südafrika.

Wie groß ist WeChat?

Was wie der App gewordene Albtraum deutscher Datenschützer klingt, ist das Rezept für gigantisches Wachstum. Weltweit loggten sich Ende letzten Jahres täglich 768 Millionen User täglich bei WeChat ein. Das sind 35 % mehr als 2015. 100 Millionen aktive WeChat-User leben außerhalb Chinas.

Weltweit belegt WeChat schon den 6. Platz hinter Facebook (inkl. Messenger), YouTube, WhatsApp und QQ – gemessen an der Zahl der monatlich aktiven Nutzer. Damit liegt die Plattform international weit vor Instagram, Twitter, Skype oder Snapchat. Übrigens: QQ ist eine Messaging-App von Tencent, den Machern von WeChat.

WeChat verändert den Lebensstil von Millionen

Schauen wir uns mal die Nutzungsintensität an.  Sie verdeutlicht: WeChat ist für seine Benutzer nicht mehr bloße App, sondern ein Betriebssystem für den mobilen Lebensstil. Das untermauern diese Ergebnisse aus dem aktuellen WeChat Impact Report:

  • Die Mehrzahl der User benutzt die App täglich mehr als 1 Stunde täglich.
  • Typische Benutzer verschicken durchschnittlich 74 Nachrichten pro Tag.
  • 200 Millionen User haben ihre Kreditkarten-Daten hinterlegt.
  • Für 1/3 der Nutzer ist mobiles Bezahlen bzw. Geldversenden eine tägliche Aktivität.
  • Durchschnittlich werden 100.000.000 Telefonate pro Tag geführt.

Mein Eindruck ist, dass sich das Konsumenten-Denken quer durch alle Altersgruppen Chinas in sehr kurzer Zeit verändert hat. Das liegt an den vielfältigen Möglichkeiten. Und an der breiten Akzeptanz der Plattform seitens der Unternehmen. Es ist normal, über WeChat ein Taxi zu rufen. Für Flüge einzuchecken. Einkäufe und Rechnungen zu bezahlen. Die eigene Fitness zu tracken. Freunde und Geschäfte in der Umgebung zu entdecken, zu empfehlen und, und, und.

Riesiges Marketing-Potenzial

WeChat ermöglicht Unternehmen echtes Marketing statt nur zielsicherer Werbung. Durch die weitreichenden Möglichkeiten der Interaktion sind Verkaufsförderung (z. B. befristeten Angeboten), Couponing, Werbe-Kampagnen, Spielen, Virals, nützlichen Helferlein und Shops immer besser kombinierbar.

Inzwischen richten neue Marken oftmals zuerst einen official account in WeChat ein, bevor sie überhaupt eine eigene App oder Website erstellen. Sie wickeln ihr Geschäft hauptsächlich über diese Plattform ab.

Folgerichtig gibt es bereits auf WeChat spezialisierte Agenturen, allen voran WalktheChat. Auf ihrem Blog stellt die Agentur aktuelle Kampagnen vor, darunter BMW, Buick und Pepsi. WalktheChat analysiert deren Erfolgsfaktoren und macht Verbesserungsvorschläge.

Fazit

Jedes Unternehmen, das im chinesisch-sprachigen Raum Konsumenten ansprechen möchte, sollte dies auf WeChat tun. Der Hebel ist riesig.
Für andere Märkte ist das Netzwerk wegen der fehlenden Zahlungsfunktion im Moment weniger interessant. Es lohnt sich allerdings, die weiteren Ankündigungen von Tencent zu verfolgen. Der Konzern denkt erwiesenermaßen groß.

Quellen:

tencent.com

clickz.com

walkthechat

Statista, We Are Social

Statista, Hootsuite

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