Zwei Dinge gibt es, die mein Texterherz erschaudern lassen. Das eine sind haarsträubende Friseurnamen. Bei Haarbracadabra, Vorhair-Nachhair und (Achtung, Highlight) Kaiserschnitt setzt es bei mir einfach aus. Mein zweites Gruselthema ist der willkürliche Einsatz von Jugendsprache in der Werbung. Seit Jahren schon klage ich mein Leid: Hier, hier und zuletzt hier. Doch trotz Spott, Häme und mahnender Worte (meinerseits, aber auch von der Netzgemeinde) können es manche Unternehmen einfach nicht lassen, einen auf cool zu machen.

Voll der Fake

Der Kern des Übels könnte das Jugendwort des Jahres sein. Seit 2008 lässt der Langenscheidt-Verlag darüber abstimmen. Eigentlich eine gute Sache. Denn die medienaufmerksame Wahl schafft ein Bewusstsein für Sprachwandel und fördert den kreativen Umgang damit.

Leider lässt ein Blick auf die Shortlist 2018 erahnen, dass hinter vielen Vorschlägen statt echter Jugendlicher wortgewandte Texter sitzen. Oder können Sie sich vorstellen, dass unter 20-Jährige von „lindnern“ sprechen, wenn sie etwas lieber gar nicht machen, als es schlecht zu machen. Damit beziehen sie sich auf das kurzfristige Aussteigen des FDP-Chefs Christian Lindner aus den Sondierungsgesprächen. In Anlehnung an Facebook-Chef Mark Zuckerberg beschuldigen sie jemanden des „zuckerbergens“, wenn sie sich gestalkt fühlen.

Selbst wenn ein gewähltes Jugendwort des Jahres wie die frisch gekürten Sieger 2018 Ehrenmann/Ehrenfrau oder der Gewinner von 2017 „I bims“ zum authentischen Slang gehören, heißt das noch lange nicht, dass es auf Werbeplakaten eine gute Figur macht. Wenn die Sparkasse verspricht, „1 gute Bank vong Vorsorge her“ zu sein und Mercedes Benz seine Luxus-Limousine mit „I bims 1 fancy S-Klasse“ bewirbt, ist das alles andere als glaubwürdig.

Schnell und clever

Ein weiterer Stolperstein in Sachen Jugendsprache: Die meisten Ausdrücke sind schon längst wieder out, wenn sie ihren Weg in die Werbung gefunden haben. Wer das Slang-Eisen dennoch schmieden will, sollte das also tun, so lange es heiß ist. Groß angelegte Kampagnen eignen sich dafür eher selten. Schnelle, clevere Social-Media-Posts haben dagegen eine gute Chance, geteilt und geliked zu werden. So bedankte sich der Autoverleiher Sixt anlässlich des Streits der Lokführergesellschaft GDL auf Facebook mit „HDGDL, GDL.“. Also „Hab dich ganz doll lieb, GDL.“ Und auch der Duden erntete Tausende Likes, als er selbstironisch postete: „Man muss immer auf korrekte Rechtschreibung 8ten. Vong Grammatik her.“

Königsklasse Ironie

Apropos Ironie: Den cleversten Jugendsprache-Marketing-Schachzug 2018 legte Mattel hin. Pünktlich zum 70. Geburtstag verkündete der Spielzeugk-Konzern, den Klassiker Scrabble in Buchstaben-YOLO (YOLO: Akronym für „You only live once“, Jugendwort des Jahres 2012) umzubenennen. Ein Werbespot, in dem der Hipster-Rapper MC Fitti den neuen Namen im peinlichsten Jugendsprache-Slang bewirbt, setzte dem Ganzen die Krone auf. Geduldig wartete man den Shitstorm ab und verkündete nach einer Woche – alles nur ein Spaß, aber Danke für die mediale Aufmerksamkeit. Nicht ganz so genial, aber zum Produkt passend, nimmt Check24 den Sprüche klopfenden Familienvater aufs Korn.

In eigener Sache

Was ich Unternehmen, die sich an Jugendsprache heranwagen wollen, rate? Zusammenfassend das Gleiche wie seit vielen Jahren – dieses Mal in leicht lesbarer Listenform (vielleicht hilft’s ja):

  • Überlegen Sie, ob Jugendsprache zu Ihrem Unternehmen, Ihren Produkten und Ihrer Zielgruppe passt.
  • Verwenden Sie nur aktuelle Ausdrücke, die tatsächlich genutzt werden.
  • Setzen Sie auf kurze, clevere Posts statt auf große Kampagnen.
  • Lassen Sie Ihre Ideen von „echten“ Jugendlichen gegenlesen.
  • Setzen Sie alternativ auf den ironischen Gebrauch von Jugendsprache.
  • Eröffnen Sie lieber einen Friseursalon mit einem wirklich guten Namen. Ich bin Ihnen als Kundin sicher.

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