Vom Zahlen-Sammelsurium bis zum kreativen Image-Boost – der Geschäftsbericht hat bereits einige Evolutionsstufen durchlaufen. Und die Bedeutung der Geschäftsberichterstattung nimmt tendenziell zu. Zum einen, weil die Entscheidung über Investitionen in unsicheren Zeiten noch mehr Informationen und Transparenz erfordert. Zum anderen, weil Nachhaltigkeit, Verantwortung und Gemeinwohl an Bedeutung gewinnen und unternehmerische Bemühungen in dieser Richtung im Geschäftsbericht offengelegt werden (sollten). Ein weiterer Aspekt, der im Kontext der Geschäftsberichterstattung bedacht werden muss, ist das veränderte Verhältnis zwischen Unternehmen und Kundengruppen sowie Personal. Beide Gruppen haben mit der Digitalisierung gelernt, hinter die Unternehmens-Fassaden zu schauen, informieren sich über Produkte, Dienstleistungen und Arbeitgeber und erwarten zunehmend, selbst proaktiv und transparent informiert zu werden. Denn sie werden immer wählerischer. Gerade in hart umkämpften Märkten, gesteigerter Bedeutung von Ethik und Moral und in Zeiten von Fachkräftemangel. Kundschaft wie Personal haben somit einen neuen Stellenwert als Stakeholder gewonnen. All das sind gute Gründe, die Geschäftsberichterstattung genauer unter Lupe zu nehmen und an einigen Stellschrauben zu drehen. Denn der Geschäftsbericht bietet viel kommunikatives Potenzial.

#1 Die Leserschaft ist überraschend vielfältig

Geschäftsberichte sind für börsennotierte aber auch für mittelständische Unternehmen die wichtigste Publikation. Doch wer liest die überhaupt? Und warum? Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die Unternehmen aus einer aktuellen Untersuchung der Wirtschaftsuniversität Wien ableiten können, ist, dass die Lesergruppe viel diverser ist als bisher angenommen. Für die Studie wurden 23.000 Menschen befragt, die Online-Geschäftsberichte von internationalen Konzernen lesen. Die größte Lesergruppe bilden entgegen gängigen Annahmen die Mitarbeitenden mit rund 25 %, gefolgt von gerade einmal 17 % Analysten und 15,5 % privaten und institutionellen Investoren. Studierende und Bewerber nehmen mit 14,5 % ebenfalls einen großen Anteil ein. Ferner gehören Nachhaltigkeitsexperten 4,4 %, Kunden 8,2 %, Presse 2,1 % und NGOs 1 % zur Leserschaft von Geschäftsberichten. Zu den Motiven, aus denen Geschäftsberichte gelesen werden, zählen laut der Studie übrigens wirtschaftliche Entwicklung (25,6 %), Nachhaltigkeit (14,1%) und Ausblick (8,8 %).

Die Leserschaft von Geschäftsberichten

Was tun?

Auf die Vielfalt der Zielgruppe ausrichten. Und statt reinen Datensammlungen auch kommunikative und gestalterische Aspekte berücksichtigen. Geschäftsberichte sollten auch für eine fachfremde Leserschaft stets ansprechend und vor allem verständlich sein.

#2 PDF first, Print last, HTML someday

Die Printausgabe des Geschäftsberichtes ist auf dem Rückzug. Waren es 2017 noch 18 der DAX-Unternehmen, so stellen 2020 nur noch drei ihren Bericht als Printausgabe bereit. Das Thema Geschäftsbericht-App – vor wenigen Jahren noch trendy – spielt faktisch keine Rolle mehr. Das Hauptmedium für den Geschäftsbericht ist und bleibt die PDF. Bei allen 30 DAX- und den meisten MDAX-Unternehmen enthält die PDF interaktive Funktionen wie interne und Web-Links, Navigationselemente oder interaktive Inhaltsverzeichnisse. Die PDF kann nur die wichtigsten Kennzahlen oder sogar den gesamten Geschäftsbericht samt Imageteil beinhalten. Reine HTML-Berichte sind noch selten. Ähnlich sieht das bei den MDAX-Unternehmen aus: PDF bleibt der Standard, Print ist weiter rückläufig. Wer seinen Bericht vollständig digital abbildet, tut dies meist auf einer Microsite, seltener als Einbindung in die Corporate Website.

Die digitale Berichterstattung kommt insgesamt nicht voran. Doch das darf nicht vorschnell als Mangel an Digitalisierung beurteilt werden. Ob und welche Bemühungen ein Unternehmen in seine digitale Berichterstattung steckt, hängt maßgeblich von der Stakeholder-Struktur ab. Bei wenigen homogenen Stakeholdern kann ein gedruckter oder PDF-Bericht genau richtig sein. Eine breite Stakeholder-Struktur lädt jedoch förmlich ein, mehr Gewicht auf die digitale Darstellung der wichtigsten Kennzahlen zu legen. Für noch mehr Transparenz, Service und Mehrwert sorgt die Möglichkeit, Inhalte nach relevanten und gewünschten Inhalten zu filtern.

Was tun?

Digitale Formate erkunden. Bei Print gilt: Wenn, dann richtig gut. Print wird nicht gänzlich verschwinden, aber einen veränderten Stellenwert einnehmen. Durch Papierknappheit und den Megatrend zu Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit werden Unternehmen das Druckformat weniger, aber bewusster einsetzen. Zum Beispiel in kleiner Auflage ausschließlich für die wichtigsten Stakeholder. Hochwertig bedrucktes Papier steht immer noch für Vertrauen und Wertschätzung – und das ist schließlich Sinn und Zweck des Berichtes. Die Printausgabe wird daher immer exklusiver, kreativer, eben besonderer werden und auch als Träger von AR- und VR-Elementen die Verbindung von Off- und Online-Welt bilden.

 #3 Kein Motto ist auch eine Aussage

Nur etwa die Hälfte der DAX- und etwas mehr als ein Drittel der MDAX-Unternehmen geben ihrem Jahresbericht ein Motto. Die übrigen verzichten ganz darauf oder setzen den Claim auf den Titel. Doch damit lassen sie sich einige kommunikative Chancen entgehen.

Ein konkretes Thema zeigt, was der Jahresschwerpunkt war, was Unternehmen und Belegschaft besonders beschäftigt hat. Damit wird ein Bericht individueller und bildet das Geschäftsjahr mit seinen Besonderheiten ab. Ein Motto kann zudem ein starker Storytelling-Leitfaden sein und eine Klammer in der Erzählstruktur bilden. In der Retrospektive lassen die Jahresmottos eine Entwicklung des Unternehmens erkennen. Wichtig für Identitätsbildung und Zusammenhalt im Unternehmen (wir erinnern uns: 25 % der Leserschaft sind das eigene Personal). Und interessant für Investoren.

Was tun?

Keine Angst vor einem Jahresmotto haben. Unternehmen dürfen dem Jahresbericht gern mehr Profil geben. Doch wie findet man eins? Das kann sich aus der Strategie ableiten, besondere Ziele oder besondere Jahresereignisse aufgreifen. Ein starkes Storytelling-Element ist es allemal.

#4 Nachhaltigkeits- und Geschäftsbericht wachsen zusammen

Die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist noch relativ neu. Noch geht der Trend klar zum eigenständigen Nachhaltigkeitsbericht und nur eine Minderheit stellt einen integrierten Bericht zur Verfügung. Doch das könnte sich in den kommenden Jahren ändern.

Wenn Nachhaltigkeitsbemühungen immer mehr in den Unternehmensalltag und das tägliche Wirtschaften integriert werden, werden die Unternehmen auch ihre buchhalterischen Strukturen anpassen. Mit jeweils eigenen Konten für CO2-Ausgaben, Spenden, Fortbildung und anderen Positionen aus den Bereichen der ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit bekommt das Engagement eine organisierte und strukturierte Form. Und wird sich perspektivisch als Teil normaler Geschäftsprozesse  in den Geschäftsbericht hinein entwickeln. Das Interesse der Investoren an den Nachhaltigkeitsbemühungen wächst – besser, man zeigt seinen Stakeholdern deutlich und transparent wie es mit den eigenen Lieferketten, Ausgleichsbemühungen und ähnlichem bestellt ist.

Was tun?

Unternehmen sollten in den kommenden Jahren die Zeit nutzen, um Routine in der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu gewinnen und ihre Kontostrukturen und Prozesse anzupassen. Und so die Nachhaltigkeit zu einem integralen Teil ihres wirtschaftlichen Handelns zu machen. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung kann somit ein ganz natürlicher Teil des Geschäftsberichtes werden.

#5 Gendersprache spielt nicht die zentrale Rolle

Noch im April 2021 schreib die FAZ, die Mehrheit der DAX und MDAX-Unternehmen setze auf Gendersprache. Eine Befragung der Zeitung und des Institutes für Kommunikation und Medien habe ergeben, dass 16 der 30 Unternehmen gendern oder dies in Zukunft tun wollen. Der Publizist Manfred Piwinger verließ sich jedoch nicht auf diese Aussagen, sondern untersuchte die Geschäftsberichte der DAX30-Unternehmen für das Geschäftsjahr 2020. 24 davon verwenden keine wie auch immer gearteten Gender-Schreibweisen. Einzelne Unternehmen verwenden wo immer möglich neutrale Formulierungen und umschiffen somit die Notwendigkeit, überhaupt eine geschlechtsbezogene Form zu verwenden. Die übrigen sechs verwenden zwar Doppelpunkte und andere Formen geschlechtsneutraler Schreibweisen, jedoch zumeist nicht einheitlich. Der Hinweis, dass auf eine Nennung der Geschlechter im Sinne besserer Lesbarkeit und Verständlichkeit verzichtet wird, findet sich jedoch in nahezu jedem Geschäftsbericht – womit auch die Begründung benannt wäre. Gilt es im Geschäftsbericht, klar und transparent zu kommunizieren, sind die Unternehmen bemüht, möglichst kurz und prägnant zu schreiben. Beidbenennungen oder Gender-Schreibweisen würden die Kommunikation demnach unnötig verkomplizieren.

Was tun?

Ob und wie ein Unternehmen in seiner Berichterstattung gendert, hängt ganz von der Sprachkultur und der Corporate Language ab. Daher sollte nicht „irgendwie“ drauf losgegendert werden. Doch egal ob Gendersprache oder nicht – verbindliche Sprachregeln sollten in jedem Fall festgelegt und in der gesamten Unternehmenskommunikation umgesetzt werden. Ein Lektorat ist ein absolutes Muss, um eine verständliche und einheitliche Unternehmenssprache sicherzustellen.

#6 Papiernot macht erfinderisch

Die europäische Papierbranche wurde in den vergangenen zwei Jahren ordentlich durchgewirbelt. Die Corona-Krise trifft auf einen seit langem beobachteten Nachfragerückgang nach Druckpapier aufgrund der Digitalisierung. Die Kapazitäten der Papierhersteller für Druckpapier sind seit Jahren rückläufig – zugunsten des Verpackungspapiers wegen des steigenden Online-Handels. Aufgrund unterbrochener Lieferketten greifen zudem Einfuhrbeschränkungen aus dem asiatischen Markt bei gleichzeitiger Exporterhöhung um knapp 25 % von Europa nach Übersee. Zudem haben stark eingeschränkte Mengenkontingente für den heimischen Großhandel den Papiermarkt leergefegt – bei Preissteigerungen um bis zu 60 % innerhalb laufender Verträge. Und das sind nur die kurzfristigen Effekte. Die langfristigen wirtschaftlichen Folgen der Corona-Politik sowie des Ukraine-Krieges sind noch lange nicht abzusehen. Für Unternehmenspublikationen bedeutet das schon jetzt massive Engpässe und Lieferzeiten von mehreren Monaten. Der Papiermangel kann jedoch ein Trigger zu mehr digitaler Geschäftsberichterstattung werden. Auch hybride Formen könnten sich zunehmend zeigen, bei denen nur Teile des Geschäftsberichtes papierhaft erscheinen und durch digitale Formate ergänzt oder durch Augmented Reality sogar um ganz neue Dimensionen erweitert werden.

Was tun?

So langfristig wie möglich planen und flexibel bleiben. Ist das ganz bestimmte Corporate-Lieblingspapier nicht lieferbar, muss es eben ein anderes werden. Die Papiernot ist eine Chance, neue Wege zu gehen und Neues auszuprobieren. Etwa eine gut aufbereitete Geschäftsbericht-Seite im Rahmen der eigenen Internetpräsenz oder ein schmaler, hochwertiger Geschäftsbericht, der durch Augmented-Reality-Elemente seine volle kommunikative Kraft entfaltet. Und das zielgruppengerecht und ressourcenschonend.

Fazit

Die Geschäftsberichterstattung ist im Umbruch – nicht erst seit dem Einbruch des Papiermarktes. Sie wird zunehmend digitale Formen annehmen, ohne den gedruckten Geschäftsbericht gänzlich hinter sich zu lassen. Dieser wird aber umso hochwertiger. Und bildet zusammen mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung eine immer engere Liaison. Doch egal welche Ausprägung die digitale oder hybride Berichterstattung annimmt, mit dem Geschäfts- bzw. integrierten Jahresbericht richten sich Unternehmen kommunikativ zunehmend an der Vielfalt der Leserschaft aus. Und nutzen die Chancen, die die digitalen Möglichkeiten bieten. Beispielsweise die individualisierbare Ausrichtung am gestiegenen Informationsbedürfnis der einzelnen Zielgruppen.

Quellen:

faz.net

corporate-reporting.com

wu.ac.at

pr-journal.de

MPM² Trendmonitor MDAX – Die Reporting-Trends 2021

MPM² Trendmonitor DAX 30 – Die Reporting-Trends 2021

Nelly ist Expertin für Corporate Language, Publikationen und Public Relations bei New Communication. Außerdem ist die ausgebildete Journalistin Pressesprecherin der Agentur. Theoretisch könnte Nelly ihre Pressekonferenzen auch auf Englisch, Russisch oder Spanisch halten. Spricht sie nämlich alles. Theoretisch könnte sie dabei auch singen und tanzen. Kann sie nämlich auch. Natürlich wäre das albern. Aber wir wollten einfach nur mal kurz damit angeben, wie toll unsere Nelly ist.

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