Etwas persönliches vorweg: Finaler Auslöser für diesen Artikel war meine Unzufriedenheit mit der Art des Defekts eines Gartengeräts. Gleich zwei filigrane Kunststoffhalterungen waren im Inneren zerbröselt und machten den ansonsten einwandfrei funktionierenden 80 Euro teuren Helfer unbrauchbar. Die Garantie war bereits abgelaufen und der Hersteller entwand sich mit der Aussage, man könne nicht sämtliche Ersatzteile für alle jemals hergestellten Geräte auf Lager halten. Was also tun? Wegen eines Kunststoffteils im Wert weniger Cents ein neues Gerät kaufen und völlig unnötigen Elektroschrott erzeugen? Einen 3D-Scan bzw. -Druck der defekten Teile irgendwo in Auftrag geben? Bei ebay nach einem baugleichen Modell Ausschau halten und ausschlachten? Alle Optionen schienen mir überdimensioniert angesichts dieser zwei winzigen Stückchen Plastik.
Was ist denn Design?
Wenn Sie bei Design zuerst elegante Autos, Handys, Haushaltsgegenstände, Möbel, Kleidung und Logos im Sinn haben, ist das ok, aber längst nicht umfassend genug. Denken Sie neben Product Design auch an Informationsdesign, Service Design, Social Design. Denn der Begriff Design bedeutet „Entwurf“ – auch der von Bedienungsanleitungen, von Usability und von ganzen Prozessen. Nahezu alles, was produziert wird, die Art, wie wir Kunden und Stakeholdern begegnen oder wie wir erfahren, wie die Welt funktioniert, geht zunächst durch Hände und Köpfe von Designern. Was für eine Verantwortung. Was für eine Chance.
Von der Unkultur des Überflusses
Dieter Rams ist die deutsche Design-Ikone schlechthin. Viele seiner maßgeblichen Entwürfe für Braun stehen heute als Designklassiker in den großen Museen dieser Welt. Wem das nichts sagt, der sei an die von Apple aufgegriffene Formensprache in deren Hard- und Software erinnert: Reduktion, Konsequenz und Ästhetik pur. Von Rams stammen die noch heute gültigen „Zehn Thesen für gutes Design“. Dazu gleich mehr. Zu seinem 90. Geburtstag im Mai 2022 äußerte sich dieser ansonsten zurückhaltende Rams erstmals wieder mit gewichtigen Worten: „Wir müssen von der Unkultur des Überflusses, der Verschwendung, der Billigkeit im Wortsinn, aber auch im übertragenen Sinne wegkommen.“ Recht hat er. Und so kann das gelingen:
Zehn Thesen für gutes Design
Bereits seit den 1970er Jahren erkannte und verdichtete Dieter Rams Attribute guten Designs, die er schließlich in 10 universellen Thesen ausformulierte: „Gutes Design ist innovativ, macht ein Produkt brauchbar und verständlich, ist ästhetisch und unaufdringlich.“ Weitere fünf Thesen klingen wie für die Nachhaltigkeit gemacht, denn: „Gutes Design ist langlebig, umweltfreundlich, ehrlich, konsequent bis ins letzte Detail und so wenig Design wie möglich.“ heißt es weiter. Wir wissen also schon sehr lange, dass Nachhaltigkeit eine Serienausstattung guten Designs ist. Aber vielleicht haben wir die Bedienungsanleitung noch nicht intensiv genug gelesen.
Kriterien für nachhaltiges Design
Der Designstratege Nathan Shedroff machte Design hauptverantwortlich für Ressourcenverschwendung und Entwicklung schädlicher Produkte. Da man aber nicht mit Meinungen, sondern mit Aktionen die Welt verändert, gab er gleich fünf Handlungsoptionen mit:
Reduce
Gestalten Sie nur Nützliches und Bedeutsames, minimieren Sie den Ressourcenverbrauch, halten Sie Belastungen so gering wie möglich, indem Sie auf alternative, weniger schädliche Materialien und Ressourcen umsteigen. Das gilt auch für digitale Produkte. Nutzen Sie grünes Webdesign, dass das Datenaufkommen möglichst gering hält und zudem auch die Ladezeiten verkürzt. Hier können Sie diesbezüglich gleich mal ihren Status quo checken: websitecarbon.com. Ziehen Sie außerdem zu CO₂-reduzierten Hostern um. Lassen Sie lokal produzieren, reduzieren Sie Transportwege. Denken Sie in Services statt materiellen Produkten. Multiplizieren Sie Informationen, nicht Produkte.
Reuse
Zielen Sie auf Langlebigkeit in der Nutzungsdauer wie in der Ästhetik. Gestalten Sie über Moden hinaus. Sorgen Sie für Wiederverwendbarkeit, ggf. auch nur von Komponenten.
Recycle
Was ist, wenn das Produkt doch irgendwann einmal den Geist aufgibt? Konstruieren, bzw. designen Sie so, dass es einfach zerlegt und Materialien sortenrein zurückgewonnen werden können. Denken Sie in geschlossenen Kreisläufen: Wo gibt man das gebrauchte Produkt zurück und was geschieht wo mit ihm?
In Japan ist beispielsweise der klammerlose Tacker schon seit Jahren extrem weit verbreitet – statt mit einer Metallklammer werden Seiten mit einer Schlaufe im Papier miteinander verbunden. Der Gewinn ist gleich vierfach: kein Metall mehr, kein Aufwand mit dem Auftrennen von Unterlagen, keine defekten Datenschredder, keine Mülltrennung nötig.
Restore
Muss es immer etwas völlig Neues sein? Denken Sie in Systemen und Kompatibilitäten. Individuelle Sonderlocken kosten nicht nur Ressourcen, sondern auch Zeit und Geld.
Process
Nutzen Sie Design innovativ für Strategie und Prozessorientierung. Machen Sie Nachhaltigkeit durch Indikatoren messbar und damit nachweisbar und authentisch. Kommunizieren Sie Ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten zielgruppengerecht, aber nicht mit dem Habitus eines Apostels: Show, don’t tell.
Ständige Weiterentwicklung
Eine elfte These oder besser Präambel gab auch Dieter Rams schon mit: Gutes Design befindet sich in ständiger Weiterentwicklung. Denn nachhaltiges Design hat nicht nur ökologische, sondern auch soziale, kulturelle und wirtschaftliche Impacts. Bernd Draser und Elmar Sander von der ecosign/Akademie für Gestaltung subsumieren: „Sinnfreies Aufhübsch-Design hat keine ernsthafte Perspektive: langfristig wird sich nur Nachhaltiges Design durchsetzen können, weil es weiß, was es tut – und warum.“
Am Ende habe ich übrigens in eine Tube Kunststoffkleber investiert und mit ein paar Werkstattresten meinem Selbstbewusstsein als DIY-Bastler und frugaler Innovator einen kleinen Höhenflug beschert.
Quellen
Dieter Rams „Zehn Thesen für gutes Design“
Dieter und Ingeborg Rams Stiftung, Interview Kronberg 2022
Bernd Draser, Elmar Sander „Nachhaltiges Design“, oekom 2022
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