Alles in den Rucksack und raus aus dem Laden

Das klingt wie ein Aufruf zum Diebstahl, leitet jedoch ein neues Konzept im Einzelhandel ein. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der klassische Supermarkt eingeführt. Seitdem stehen wir Schlange an der Kasse. Dass es auch anders geht, zeigen uns die E-Commerce-Riesen.

Eines der besten Beispiele ist Amazons Supermarkt-Konzept Amazon Go. Bereits im Dezember 2016 wurde der Markt in Seattle eröffnet. Das war der erste erkennbare Vorstoß eines E-Commercers in die reale Welt.

Für die Öffentlichkeit zugänglich ist der Markt erst seit dem 22. Januar 2018. Das Konzept ist einzigartig: Es gibt keine Kasse. Der Kunde geht einfach in den Shop hinein, packt die Waren aus dem Regal in seine Tasche und verlässt den Laden. Möglich macht’s eine ausgeklügelte Technologie.

Die Technik hinter Amazon Go

Die Voraussetzung für Amazon Go: Der Kunde hat die App von Amazon heruntergeladen und checkt beim Betreten des Ladens mithilfe seines Smartphones ein. Der Markt registriert, welche Artikel der Kunde mitnimmt. Dann rechnet er den Einkauf über das Amazon-Konto des Kunden ab.

„Kameras und eine Kombination unterschiedlicher Sensoren füttern also einen lernenden Algorithmus, der erkennen soll, welche Produkte Kunden aus dem Regal nehmen – oder wieder zurückstellen. Amazon dürfte dabei auf eine Technik bauen, die ähnlich der Gesichtserkennung Gegenstände aus unterschiedlichsten Winkeln erkennt und über Modelle, wie wir sie von RFID kennen, die jeweilige Position von Kunde und Produkt bestimmen. Zudem können Sensoren zum Einsatz kommen, die das Gewicht der Produkte im Regal – oder gar das Gewicht oder die Größe des Kunden erkennen.“ So lautet die technische Erklärung von Olaf Kohlbrück im Magazin e-tailment.

E-Commerce auf analogem Wachstumskurs

Rund 7 Monate nach der 1. Eröffnung gibt es nun einen 2. Amazon-Go-Supermarkt in Seattle. Weitere Expansionspläne stehen an: Amazon bemüht sich seit Monaten intensiv um entsprechendes Personal. Untermauert wurde der Vorstoß in die reale Welt durch die Übernahme der Bio-Supermarktkette Whole Foods im August 2017. Für die 461 Läden zahlte Amazon insgesamt 13,7 Milliarden Dollar.

Während dieser 7 Monate eröffnete Alibaba bereits seinen 21. Hema-Hightech-Supermarkt. Der große E-Commerce-Player aus dem fernen Osten will auf insgesamt 60 Märkte expandieren. Auch Alibaba hat in den letzten Jahren Zukäufe getätigt, um sein Portfolio auszubauen. 2014 kaufte er z. B. Anteile an „Intime“. 2015 eine Beteiligung am Handelskonzern Suning. Und 2017 Anteile am Supermarkt Lianhua und an dem Großhändler Sun Art. Allein die Beteiligung an Sun Art hat ein Volumen von 2,4 Milliarden Euro.

Hightech-Supermärkte von Alibaba

Wie ein Hema-Hightech-Supermarkt von Alibaba funktioniert? Anders als bei Amazon steht das Smartphone beim Einkauf im Mittelpunkt. Alle Artikel verfügen über einen Strichcode. Darüber bieten sie z. B. passende Informationen oder Rezepte an und sind interaktiv erlebbar. Was der Kunde in seinen Einkaufswagen packt, wird gescannt und am Ende mit Alipay bezahlt. Ganz ohne Schlange an der Kasse.

Ergänzt wird dieses Retail-Konzept um die Möglichkeit, im Einzugsgebiet des Supermarktes auch Waren zu bestellen. Mitarbeiter sehen auf einem Gerät die Bestellung des Kunden und füllen die Waren in einen Korb. Dieser ist mit einem Strichcode versehen. Sind alle Waren drin, hängt der Mitarbeiter den Korb an ein Förderband im Markt. Die Bestellung wird sofort ausgeliefert.

Unterschiede zwischen Amazon und Alibaba

Anders als in Amazon-Go-Geschäften liegt der Fokus der Hema-Supermärkte eher auf dem digitalen Einkaufserlebnis. Online- und Offline-Welt verschmelzen im stationären Geschäft von Alibaba. Über das Benutzerkonto des Kunden lassen sich Anregungen für den nächsten Einkauf auch zu Hause platzieren. Das Einkaufserlebnis wird z. B. dadurch unterstrichen, dass der Kunde sich seinen Einkauf frisch von Köchen zubereiten lassen kann.

Innovationen aus Deutschland

Die Märkte von Amazon und Alibaba sind nur Beispiele für die Verschmelzung von Online- und Offline-Welt. Natürlich verfügen diese milliardenschweren Konzerne über die geeigneten finanziellen Mittel. Aber ihre Firmenphilosophie setzt auch auf Entwicklung und Fortschritt.

Die letzte Innovation im deutschen Einzelhandel kam dagegen von den Discountern. Sie brachten die Strichcodes auf Dosensuppen einmal um die Dose herum an. So ließen sich die Artikel an der Kasse viel schneller scannen. Die Wartezeit verringerte sich. Danach kam lange Zeit nichts.

Dass es auch anders geht, sah man auf der Handelstechnologie-Messe EuroCIS in Düsseldorf im April 2018. Das Automatic-Stock-Detection-System von SES-Imagotag überwacht mit Hilfe von Überwachungskameras und Computer-Vision-Algorithmen z. B. den Bestand in Supermarkt-Regalen. Die entnommenen Produkte werden anhand der digitalen Preisschilder an den Regalen identifiziert. Per Video-Überwachung ermittelt man die Entnahme und Stückzahl der eingekauften Waren. Es gibt zudem ein Check-out-System, das mittels NFC oder QR-Code direkt mit den Preisschildern verbunden ist. Das System ist sogar in Frankreich im Einsatz.

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Ausblick

Zugegeben, das System ist keine Komplett-Lösung wie die von Amazon oder Alibaba. Aber es ist ein Anfang. Technisch stehen diese oder auch andere Lösungen den Händlern längst zur Verfügung. Genutzt werden sie selten. Dabei wäre ein kleiner Schritt aus der Online- in die Offline-Welt ein Schritt in die richtige Richtung.

Quellen:

Olaf Kolbrück - So funktioniert Amazon Go: Die Technik hinter dem Zauberwort „Sensor Fusion“
Sven Clausen - Um die Wurst: Amazon wagt größten Zukauf der Firmengeschichte
Jochen G. Fuchs - Wieso eröffnet jetzt erst der zweite Amazon-Go-Shop?
Jochen G. Fuchs - Falsche Rücksicht auf Retailer: Warum es kein deutsches Amazon Go gibt
(abgerufen am 30.08.2018)

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