Es gibt ja die harmloseren Sprachwandel-Gegner, die sich über die Jungendsprache (die vermutlich weniger von Jugendlichen als von Werbenden gesprochen wird) aufregen und schnell ihre Ausgabe von Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod von Bastian Sick an die Brust drücken. Gerne werden auch verschiedene (höhö) Schriftsteller bemüht. Als wäre der Tod nicht schon anstrengend genug, müssen sie sich nun noch dauernd im Grab im Kreise drehen.

Und dann gibt es die Sprachwandel-Gegner, deren Weigerung zu gendern im schlimmsten Fall sogar Menschen verletzen kann. „Ist doch nur Sprache“ sagen die einen. Aber wie wir wissen, ist es eben nicht nur Sprache. Schließlich hat Sprache Macht. Sie kann uns Schmerzen nehmen, uns aber auch Schmerzen zufügen. Und genau aus diesem Grund ist es wichtig, Sprachwandel anzuerkennen und nicht zu verteufeln.

Historisch betrachtet

Ich kam gegangen
zuo der ouwe:
dô was mîn friedel komen ê.
Dâ wart ich enpfangen,
hêre frouwe,
daz ich bin sælic iemer mê.
Kuste er mich? wol tûsentstunt:
tandaradei,
seht wie rôt mir ist der munt.
(Walter von der Vogelweige – Unter der Linde)

Das haben Sie nicht verstanden? Komisch – könnte es etwa sein, dass sich die deutsche Sprache seit dem Jahr 1200 doch etwas verändert hat?

Man muss natürlich nicht soweit in der Zeit zurück gehen, um zu erkennen, dass Sprache einem stetigen Wandel unterliegt. Trotzdem tendieren Menschen dazu frei nach dem Motto „Früher war alles besser“ die Sprache von 2 bis 3 Generationen vor der eigenen als schöner und besser zu empfinden. Das wir selbst beispielsweise im Jahr 2021 gar nicht mehr so sprechen und dass sich unsere Sprache auch während unseres Lebens verändert, kehren wir dann gerne unter den Tisch. Dabei passen wir über die Jahre nicht nur unseren Wortschatz an, sondern auch die Aussprache und Intonation. Doch kein Grund zur Sorge – auch wenn viele Menschen befürchten, dass unsere Sprache vor die Hunde geht, versichert David Shariatmadari in seinem Buch Don’t believe a word – The surprising truth about language: „There is no such thing as linguistic decline, so far as the expressive capacity of the spoken or written word is concerned.”

Aufreger und oder die Angst vor dem „Genderwahn“ sind im Übrigen nicht neu. Schon im 18. Jahrhundert befürchteten viele Menschen die „Überfremdung“ der deutschen Sprache durch französische Einflüsse. Und auch in Großbritannien sorgte man sich schon früh um die Muttersprache, um Abkürzungen und Fremdworte, die mehr und mehr Einzug hielten und somit den Verfall der englischen Sprache einläuteten. David Shariatmadari nennt gleich fünf Autoren über den Zeitraum von 400 Jahren, die alle diese Befürchtungen hatten. Aufgehalten haben all diese Autoren samt ihrer Bedenken den Sprachwandel jedoch nicht.

Warum Sprachwandel vielen weh tut

Sprachwandel lässt sich also nicht aufhalten. Warum beschweren sich dann immer noch so viele Menschen darüber? Ein Grund ist die Schnelligkeit, mit der sich unsere Sprache verändert. Anders als beispielsweis bei der biologischen Evolution, können wir im Laufe unseres Lebens beobachten, wie sich die Sprache um uns herum verändert. Das löst die Illusion des Sprachverfalls aus. Je älter wir werden, desto mehr stößt uns die Sprache der Jüngeren auf. Wir fühlen uns damit nicht mehr wohl. Dieses Unwohlsein wandeln wir dann direkt in Kritik und Beschwerde über den angeblichen Verfall der Sprache um. Wir sind uns auch nicht zu schade, schnell angeblich intellektuelle Belege für diesen Verfall zu finden. Dabei handelt es sich weniger um Verfall als persönlichen Geschmack.

Wissenschaft vs. Wissenschaft

Innerhalb der Sprachwissenschaften gibt es zwei Perspektiven, sich mit der Sprache zu befassen: die Synchronie und die Diachronie. Das kann man sich eigentlich gut in einem Diagramm vorstellen. Die Synchronie befasst sich mit Sprache, wie sie in einem ganz bestimmten Augenblick oder einer Zeit ist. Die Diachronie hingegen betrachtet die Entwicklung und Evolution der Sprache im Wandel der Zeit.

Betrachten wir also die Sprache diachron, so sieht man schnell, wie sehr sich die Art und Weise wie wir sprechen wandelt – und auch weiter wandelt wird.

Deskriptiv vs. präskriptiv

Sprechen wir heute von Sprachwissenschaft (oder auch moderner Linguistik), so meinen wir damit deskriptive Linguistik. Sie beschreibt Sprachen, Sprachsysteme und auch den Sprachwandel. Und das ganz ohne Wertung. Anders hingegen geht die präskriptive Linguistik vor. Sie kennt ein Regelwerk in Form von festgelegter Grammatik und Rechtschreibung, an das es sich zu halten gilt. Jede Abweichung der Norm wird als falsch abgetan. Sprachwissenschaftler betrachten diese Herangehensweise mittlerweile als wenig wissenschaftlich – und eben nicht der Realität entsprechend. Jedenfalls ließ sich der Sprachwandel bis heute noch nicht von Rechtschreibung und Grammatik aufhalten – trotz vieler hartnäckiger Versuche einschlägiger, mehr und mehr völkisch anmutender Gesellschaften.

Faktoren des Sprachwandels

Ob aus Prestige, durch Sprachkontakt, gesellschaftliche, technologische oder sprachökonomische Faktoren – die Gründe für den Sprachwandel sind vielfältig. Ein kurzer – unvollständiger – Überblick:

Sprachwandel durch Technologie

Wenn man es nicht gerade wie die Isländer macht und versucht, so viele Anglizismen vor dem Eintritt in die Sprache abzuhalten, wie nur möglich (Bsp. tölva für Computer, eine Kombination aus tala= Zahl und völva=Hellseherin), dann hat auch der Fortschritt eine sehr große Rolle beim Sprachwandel gespielt und auch der deutschen Sprache vor allem Begriffe englischen Ursprungs beschert.

Insbesondere der Einsatz der Technologien führt zu Sprachwandel. Zum Beispiel durch Textnachrichten, in denen wir uns möglichst kurzfassen wollen, um Zeit und Zeichen zu sparen. Diese Sprachökonomie beeinflusst so später auch die Art, wie wir sprechen.

Sprachwandel in der Werbung durch die Werbung

Auch in der Werbung – oder wie man früher sagte Reklame – hat sich einiges hinsichtlich der Sprache getan. Klar – schließlich will man hier nicht nur den Trends hinterherlaufen, sondern sie auch setzen. Der Sprachwandel in der Werbung ist somit auch ein Indikator für den Wandel der Gesellschaft. Dennoch steht fest, dass Sprache in der Werbung nicht unbedingt der tatsächlich gesprochenen Sprache entspricht. Es ist ein wenig wie die Dialoge in Soaps (oder – um ehrlich zu sein, dieser Artikel). Ein wenig zu deutlich betont, ein wenig überspitzt. Eben nicht wie die spontanen Ergüsse, die täglich unsere Münder verlassen. Aber beeinflusst unsere Sprache die Werbung oder andersherum? Das fragt sich auch die Kieler Professorin Lieselotte Anderwald im Hinblick auf McDonald’s früheren Claim I’m loving it in ihrem Paper „I‘m loving it – Marketing Ploy or Language Change in Process?¹ Vielleicht ist es am ehesten eine Wechselbeziehung.

Gesellschaftlicher Sprachwandel

Ereignisse, die die Gesellschaft bewegen, können ebenfalls unsere Sprache beeinflussen. Corona demonstriert es gerade eindrucksvoll. So schafft es die Pandemie sowohl Bestandteil des Wortes als auch des Unwortes des Jahres 2020 zu sein (Coronapandemie / Corona-Diktatur). Unser Sprachschatz wurde sogar noch weiter angereichert: Lockdown, Verschwörungserzählung, systemrelevant, Triage, … all diese Begriffe haben Einzug in unseren täglichen Sprachgebraucht gehalten. Von sämtlichen Mit-Abstand-Wortspielen ganz zu schweigen.

Nomen est omen

Nicht immer merken wir, wenn sich unsere Sprache und die Begriffe, die wir benutzen sich verändern oder das in der Vergangenheit getan haben. Sprachwandel wirkt sich nicht nur auf die Worte, die wir verwenden aus, sondern auch auf die Grammatik, die Rechtschreibung und Aussprache. Wenn wir aber bei einzelnen Begriffen bleiben, sind viele davon so in unseren Wortschatz übergegangen, dass wir ihre Herkunft nicht weiter hinterfragen. Die Ursprünge dieser Begriffe können sich dabei stark unterscheiden. Ein paar davon erklären wir hier:

  • Lehnwörter
    Ein Wort wird an die Grammatik der Nehmersprache angepasst, und zwar so sehr, dass die Gebersprache nicht immer sofort erkennbar ist. Ein gutes Beispiel sind Worte wie Streik (aus dem Englischen) und Kutsche (aus dem Ungarischen).
  • Lehnübersetzung
    Eine Lehnübersetzung bezeichnet ein Wort, dessen einzelne Bestandteile komplett in eine andere Sprache übersetzt wurden. Bekannte Beispiele sind Großvater bzw. Großmutter aus dem französischen grand-père bzw. grand-mère oder auch das Wort Datenverarbeitung vom englischen data processing. Andersherum funktioniert das übrigens auch. Das englische Wort worldview geht auf das deutsche Wort Weltanschauung zurück.
  • Scheinentlehnung
    Auch Pseudoentlehnung genannt. Hiermit sind Worte gemeint, die zwar so aussehen, als wären sie ein Fremdwort, die aber in ihrer Bedeutung nichts mit der vermeintlichen Ausgangsprache zu tun haben. Dazu zählen bekanntermaßen Begriffe wie Handy, Beamer oder Friseur.
  • Bedeutungswandel
    Mit einer Maus ist schon seit geraumer Zeit nicht mehr nur ein kleines niedliches Nagetier gemeint. Die Bedeutung des Wortes hat sich gewandelt – bzw., es ist eine neue Bedeutung hinzugekommen. Bedeutungswandel kann aber auch bedeuten, dass wir einen Begriff aufgrund von Konnotation lieber nicht mehr verwenden. Deutlich wird das an Begriffen wie Weib und Schlampe, die heute eher selten einfach eine (Ehe-)Frau oder eine unordentliche Frau bezeichnen. Denn, nein – das wird man nicht mehr noch sagen dürfen. Egal ob das Z-Wort oder das N-Wort – auch hier ist Sprachwandel spürbar. Und weiße Menschen haben sicher nicht das Recht, Minderheiten vorzuschreiben, wie sie über die Verwendung zu fühlen haben.

Fazit

Sprache steht nicht still. Innovation, Evolution, Gesellschaft und Sprachökonomie beeinflussen die Art, wie wir sprechen und schreiben. Begriffe werden neu entwickelt, gedeutet, entlehnt, umgedeutet und gekürzt und zusammengestellt.

Gewöhnen Sie sich dran – aufhalten können Sie es jedenfalls nicht.

 

*Der Artikel selbst ist teils weniger polemisch als es der Titel vermuten lässt.

[1]

Quellen

  • Shariatmadari, David: Don’t believe a word. The surprising truth about language. London: Weidenfeld&Nicolson, 2019.
  • Vollmert, Johannes (Hrsg.): Grundkurs Sprachwissenschaft, 5. Auflage, München: W.Fink UTB, 2005.
  • Hitzfeld, Christina: Wandel von Werbung - Werbung im Sprachwandel - Der Begriff Werbung und eine Analyse der Werbesprache im Nachrichtenmagazin Der Spiegel von1947 bis 2005.
  • Duden
  • Zukunftsinstitut
  • Univie
  • GfdS
  • Forbes

Jana sorgt als ausgebildete Social-Media-Managerin und Expertin für Public Relations und Newsletter-Marketing bei New Communication dafür, dass ihre Kund*innen im Rampenlicht stehen. Als Fachfrau für Krisenkommunikation, Corporate Language und Investor-Relations trifft sie immer den richtigen Ton. Kein Wunder, dass die studierte Anglistin und Skandinavistin privat dem medialen Getöse gern mal den Rücken kehrt und in Norwegen Schnee- statt Shitstorms die Stirn bietet.

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