Wollten Sie nicht schon immer einmal die „Stadt der Stühle“ besuchen? Oder in der „Mähdrescherstadt“ eine Zweigstelle ansiedeln? Vielleicht sagt Ihnen etwas Bodenständigeres mehr zu und Sie fühlen sich von Elmshorn mit seinem Claim „Supernormal“ angezogen? Bodenständigkeit scheint hier oben im Norden, im „Echten Norden“ nämlich, ohnehin verbreiteter zu sein, während man in Bayern ganz auf einen Claim verzichtet – Bayerns Einzigartigkeit scheint keine verbale Hervorhebung zu benötigen.
Lange Zeit galt im Standort- und vor allem im Stadtmarketing die Einzigartigkeit als Non Plus Ultra, und sei sie noch so weit hergeholt. Neben einem Trend zum Bodenständig-Normalen und Authentischen, sind seither allerdings keine weiteren Entwicklungen zu beobachten. Das Standortmarketing steht still. Ohnehin scheint das Standortmarketing, auch undifferenziert als Regionalmarketing, Citymarketing, Tourismusmarketing oder gar Destinationsmarketing bezeichnet, als Disziplin das Stiefkind der Branche und der Betätigungsfelder von Kommunikatoren zu sein. Zu Unrecht. Denn es bietet große Potenziale. Voraussetzung: Es muss sich endlich auf den Weg ins 21. Jahrhundert aufmachen.
Während in vielen Marketingdisziplinen gleich mehrere Trends und Entwicklungen zu beobachten sind, besteht das Standortmarketing oft aus der guten alten, oft auch veralteten, Website, einem Corporate Design und Broschüren. Doch wie Unternehmen, stehen auch Regionen, Gemeinden, Kommunen, Städte und Bundesländer in Konkurrenz zueinander. Um Arbeitskräfte, um Ansiedlungen und Investitionen. Höchste Zeit also das Standortmarketing zu beleben. Was sollte also künftig im Hauptfokus des Standortmarketings stehen und wem ist was wichtig?
Unternehmen: Wo gibt´s kreative Talente und schnelles Internet?
Unternehmen, Geschäftsmodelle und Lebenswirklichkeiten verändern sich. Und damit auch das Standortmarketing. Idealerweise. Im Zeitalter der Digitalisierung verändern sich die Ansprüche der Unternehmen an einen Standort. Dabei kommt es schon länger nicht mehr nur auf reine Wirtschaftskennzahlen an. Dass dabei neben einer guten Kommunikations-Infrastruktur vor allem die Verfügbarkeit junger kreativer Talente die Hauptrolle spielt, zeigt unter anderem eine Befragung, die die IHK Cottbus mit über 400 Unternehmen aus der Region Südbrandenburg durchführte. Diese ergab, dass neben den genannten Faktoren auch eine gute Strom- und Medizinversorgung und allgemeine Sicherheit am wichtigsten sind.
Größter Minuspunkt bei der Bewertung eines Standortes: Mangelnde Verfügbarkeit von Fachkräften und potenziellen Auszubildenden. Diese und weitere Untersuchungen zeigen: Digitale Infrastruktur und Fachkräfte sind nicht nur die wichtigsten Faktoren, sondern gleichzeitig die größte Mangelware für die befragten Unternehmen.
Hinzu kommt, dass auch für Unternehmen Nachhaltigkeit eine immer größere Rolle spielt. Das Standortmarketing sollte daher nicht nur die Fachkräfte als Standortfaktor für Unternehmen ins Visier nehmen, sondern Förderung und Vernetzung von Nachhaltigkeitsprojekten, Gemeinwohlökonomie-Initiativen und nachhaltige Infrastrukturkonzepte im Auge behalten.
Arbeitskräfte: Wo kann ich nachhaltig leben und arbeiten?
Den Ort, an dem man geboren wird und in dem man zur Schule geht, sucht man sich in der Regel nicht aus. Den Ort, an dem man später lebt und arbeitet schon. Studium und Jobsuche sorgen bei jüngeren Generationen für Mobilität. Bei der Wahl des Lebensmittelpunktes spielt für diese Generationen nicht mehr nur Abschluss und Gehalt eine Rolle, sondern zunehmend das Bedürfnis nach einem sinnerfüllten Leben im Einklang mit der Umwelt. Regionen, die aktiv Nachhaltigkeitsprojekte vorantreiben, ihren Bürgern eine grüne Umgebung, nachhaltige Mobilitätsinfrastruktur und innovative Wohnkonzepte bieten, sind dabei im Vorteil. Wenn Konsumenten sich zunehmend von sinnlosem und schädlichem Konsum abwenden und von Unternehmen Engagement erwarten, dürfte das künftig auch vermehrt auf die Erwartungen gegenüber Städten und Gemeinden zutreffen. Beim Standortmarketing sollte daher auf nachhaltige Aspekte und Gemeinwohl besonderer Wert gelegt werden.
Standorte: Was brauchen die jungen Talente zum Leben?
Unternehmen und Kapital folgen der digitalen Infrastruktur und den Fachkräften. So können ländliche Standorte sogar bestimmte Nachteile durch eine gute Internetleistung ausgleichen, vorausgesetzt sie investieren in die strategische Entwicklung einer flächendeckenden Versorgung. Da Fachkräfte als Standortfaktor für Unternehmen ganz oben stehen, müssen Standorte sich gleichzeitig um Fachkräfte bemühen und sich als attraktiver Lebensmittelpunkt zeigen. Für die Kommunikationsstrategie ist es daher nicht nur wichtig zu verstehen, was im Leben von jungen Erwachsenen immer wichtiger wird, sondern die unterschiedlichen Standortvorteile dementsprechend kommunikativ zu bündeln. Kooperationen der Stadtverwaltungen, Wirtschaftsförderungen und lokalen Tourismusagenturen mit Hochschulen, Start-Up-Netzwerken, Umweltinitiativen und anderen regionalen Playern sind da ein guter Anfang.
Touristen: Wo kann ich nachhaltigen Urlaub machen und Regionen damit bei ihren Nachhaltigkeitsbemühungen unterstützen?
Sehenswürdigkeiten, Sensationen und Supersparangebote sind nicht mehr das A und O bei der Wahl des Urlaubsortes. Nachhaltigkeit bei Urlaubsreisen ist seit Langem ein großes Thema, jedoch hat Corona diese Entwicklung weiterhin beschleunigt. Urlaub im eigenen Land, hochwertige Angebote, Camping und Ferienwohnungen, Sozialverträglichkeit, saubere (im Sinne von grüne) Städte, faire Lebens- und Arbeitsbedingungen vor Ort. Das und mehr zählt zu den Trends, die künftig vermehrt in den Fokus geraten werden. Das Standortmarketing sollte diese Faktoren in die Kommunikationsstrategie integrieren. Was aktuell im Standortmarketing passiert Erste Ansätze einer Neuauflage des Konzeptes „Standortmarketing“ sind schon jetzt erkennbar: So will es die Stadt Stuttgart etwa Unternehmen erleichtern, in die Gemeinwohlökonomie einzusteigen. „Mit unserem Förderprogramm Nachhaltig fit für morgen ermöglichen wir es privatwirtschaftlichen Unternehmen, in die Gemeinwohlökonomie einzusteigen und ihre Nachhaltigkeit zu steigern. Stuttgarter Betriebe können in moderierten Konvoi?Workshops mit Individualbetreuung ihren ersten Gemeinwohl?Kompakt?Bericht erstellen. Die Landeshauptstadt Stuttgart fördert die Beratungen mit 50 Prozent und das Audit mit 100 Prozent“, heißt es auf der Website.
Auch in Schleswig-Holstein tut sich etwas: Die Energieküste ist ein regionales Netzwerk zur Bündelung von Ressourcen und Know-how, das die Energiewende vorantreiben will. „Wir befinden uns in einem internationalen Wettbewerb der Regionen, um Unternehmen, Mitarbeiter, Wissenschaftler und Investitionen“, so Wirtschaftsminister Buchholz. „Umso wichtiger ist, dass wir unsere Kräfte bündeln. Die Westküste ist von jeher eine Pionierregion der Energiewende, damit kann man selbstbewusst nach draußen gehen und für sich werben.“
Die Schweiz holt gleich groß aus und will führender Standort für nachhaltige Investments werden. Die Förderung kommt dabei von ganz oben: Die Regierung hat zum Zweck des Ausbaus der nachhaltigen Finanzwirtschaft einen Bericht und Leitlinien verabschiedet. Finanzmärkte, die auch in Zukunft erfolgreich sein wollen, müssen demnach stabil und vertrauenswürdig sein und einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten.
Gerade in der Post-Coronazeit sowie in einer Zeit, in der Nachhaltigkeit und neue Ideen gefragt sind, liegen ungeahnte Chancen für Regionen, Städte und Gemeinden. Doch umfassende strategische Konzepte oder nennenswerte innovative Kampagnen sind bisher nicht zu erkennen. Stattdessen lauten die Botschaften von Standortmarketingkampagnen mehrheitlich „Wir haben guten Wein/Käse/Marzipan/Natur/Universitäten“. Neben den veränderten Bedürfnissen von Unternehmen und Arbeitskräften muss noch nach etwas anderem gefragt werden: In einer vernetzten Welt, in der sich jeder alles liefern lassen kann und dezentrales Arbeiten und Erleben zunehmend an Bedeutung gewinnt – was macht einen physischen Ort da überhaupt noch attraktiv? Antwort: Seine Nachhaltigkeits- und Fairnesswerte.
Welche Standortfaktoren könnten für das Standortmarketing künftig noch relevant werden?
- Klimaprojekte
- Nachhaltige Wohnprojekte und ganzheitliche Stadtplanung
- Gelebte Gemeinwohlökonomie und Förderung
- Nachhaltige Tourismusangebote
- Glücksindex
- Bürgerinitiativen für Nachhaltigkeit
- Bürgerbeteiligung
- Initiativen von Land, Stadt oder Gemeinde für gelebte Gleichstellung
- Förderung für Unternehmen, die ökologisch handeln
- Netzwerke für Unternehmen und Bürger, die den Klimaschutz und/oder die Weiterentwicklung von nachhaltigen Konzepten vorantreiben
Für Standorte bedeutet erfolgreiches Standortmarketing zunächst fünf Erkenntnisse.
1. Standortmarketing ist nicht nur Destinationsmarketing
Sicher ist eine Bekannt- und Beliebtheit als Tourismusort erstrebenswert. Doch beim Standortmarketing geht es um viel mehr als um Tourismus. Denn die Standortkonkurrenz um Unternehmen, Fachkräfte, Projekte, Bildung und Forschung schläft nicht…
2. Standorte brauchen Unternehmen brauchen Fachkräfte brauchen Standorte
Ansätze für das Standortmarketing sollten möglichst ganzheitlich und strategisch gedacht werden. Denn die Faktoren, die einen Standort attraktive machen, bedingen sich oft gegenseitig. Die Kommunikation sollte entsprechend alle Faktoren und Anspruchsgruppen ins Visier nehmen.
3. Trends beobachten, Trends leben, Trendsetter sein
Wer seine Region voranbringen will und zielorientiertes und zeitgemäßes Standortmarketing betreibt, kennt die Wünsche, Bedürfnisse und Zukunftsvorstellungen der Zielgruppen. Und weiß, womit man bei ihnen punkten kann. Wie wäre es damit, die Förderung von Nachhaltigkeitsprojekten in den Fokus zu nehmen, statt nur den regionalen Käse zu bewerben?
4. In Kooperationen investieren
Da Standortmarketing nicht nur Tourismusmarketing ist, sondern idealerweise verschiedene Lebens- und Arbeitsbereiche umfasst, sind die Player einer Region zusammenzubringen und zu vernetzen: Universitäten, Bürgerinitiativen, Tourismusagenturen, Wirtschaftsverbände und weitere können Wissen und Ideen austauschen und gemeinsam die Attraktivität der Region voranbringen.
5. Wandel zulassen
Was in vielen Lebensbereichen gilt, gilt auch fürs Standortmarketing. Die Devise „Das haben wir immer schon so gemacht“ funktioniert nicht mehr. Werte, Gewohnheiten und Bedürfnisse sind im Umbruch. Darauf müssen Regionen, Städte und Gemeinden reagieren. Am besten mit neuen Ideen und Konzepten. Im Brachland des Standortmarketings muss umgegraben, gepflügt und neu gesät werden. Es lohnt sich.
Quellen:
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