Was ist Design?
Der Begriff „Design“ wird im deutschen Sprachraum bedeutungsmäßig fast immer auf die rein visuelle Gestaltung von Medien, Produkten oder etwa Mode verkürzt. Dabei umfasst Design insbesondere auch dahinterliegende Entwurfs- und Planungsprozesse sowie -methoden. Im Maschinenbau zum Beispiel wird Design passenderweise mit „Konstruktion“ übersetzt. Schließen wir uns doch einfach dieser Bedeutung an.
Es ist kompliziert: Unternehmen, Kunde, Gesellschaft
Es scheint simpel: Unternehmen bieten Produkte oder Dienstleistungen für Kunden*innen. Ware des einen gegen Geld des anderen. Dieser Austausch und der Fokus darauf war für Unternehmen lange das Maß aller Dinge. Doch was gut und bequem für den Einzelnen – bzw. dessen Kaufentscheidung – ist, muss noch lange nicht gut für die Gesamtheit der Gesellschaft sein. Aber der Reihe nach.
Business Centered Design
Es mag verständlich sein, dass die Interessen eines Unternehmens zunächst allein dem eigenen wirtschaftlichen Erfolg und Fortbestand gewidmet waren und sind – kurz-, mittel- wie langfristig. Doch schon mit der Entwicklung der modernen Industriegesellschaft und der Einführung von Sozialversicherungen 1883 wurden – unter politischem Druck – die eigenen Beschäftigten als Teil des Unternehmens und der Gesellschaft insgesamt und daher schützenswertes Gut verstanden. An Umweltauflagen hingegen dachte damals noch niemand. Und auch heute werden prekäre Bedingungen in Produktionsstätten in Entwicklungs- und Schwellenländern leider noch immer zu gern zu Gunsten eigener Bequemlichkeiten übersehen.
User Centered Design
Verkauft wurde, was gebraucht wurde. Gebrauchstauglichkeit war anfangs allenfalls eine willkommene Nebeneigenschaft, wurde jedoch seit den 1960er Jahren zunehmend ein entscheidendes Verkaufsargument. Spätestens mit dem Aufkommen von immer komplexerer Software ist jedoch klar, dass sich Produkte und Services idealerweise an den Bedürfnissen der Nutzer*innen orientieren, wollen sie sich langfristig am Markt behaupten. Nutzer-zentriertes Design begleitet uns daher schon seit knapp 30 Jahren. Die Gestaltung von User Interfaces geht zum Beispiel ganz besonders auf die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Verhaltensweisen menschlicher Nutzer ein. Während allererste digitale Bestellprozesse ein ordentliches Maß an Datenbankkompetenzen voraussetzten, um sich erstens zu authentifizieren, zweitens den gewünschten Artikel ohne exakte Artikelnummer zu finden und schließlich erfolgreich zu bestellen, scheint heute bereits alles mühsam, was über die 1-Click-Bestellung via Smartphone hinausgeht.
Das Kano-Modell beschreibt so eine Entwicklung: ursprünglich begeisternde innovative Produktmerkmale werden mit der Zeit zu erwartbaren Leistungsmerkmalen, bevor sie zu standardmäßigen Basismerkmalen degradiert werden, die sogar zu Enttäuschung führen, sollten sie fehlen.
Unternehmen haben derweil erkannt, dass neben Bestandskunden – Customer Centered Design – auch andere Personen vielleicht mal etwas kaufen möchten: Die Geburtsstunde des digitalen Einkaufs mit einmaligem Gastzugang.
Na klar, Social Media kann Meinungsaustausch und Gemeinschaft fördern. Same-Day-Delivery garantiert eine Zustellung noch am selben Tag. Das Live-Update von DHL zeigt Ihnen, wie viele Stops Ihr Paket noch von der Haustür entfernt ist. Lieferdienste stillen den Hunger, noch bevor die Heißhungerattacke vorüber ist. AirBnB verspricht authentische Urlaubserlebnisse.
Aber was bedeutet das vermehrte Paketaufkommen für den innerstädtischen Verkehr und die Umwelt? Welchem Stress sind die Zusteller*innen durch die Live-Updates – und damit grenzenlose Überwachung – ausgesetzt? Wohin mit dem ganzen Verpackungsmaterial? Warum nutzen so viele Menschen Social Media für Hassbotschaften und Unternehmen für die Unterwanderung von Demokratie? Und ist jedem klar, dass Airbnb erschwinglichen städtischen Wohnraum verdrängt, weil die temporäre Vermietung an Feriengäste lukrativer ist als die an reguläre Mieter*innen? Zeit zum Umdenken vom Wohl des Individuums auf das Wohl der Gemeinschaft.
Society Centered Design
Es ist wunderbar, wenn Lösungen und Angebote für unsere Probleme und Bedürfnisse zur Verfügung stehen. Aber so wenig, wie man zu Bismarcks Zeiten die Umwelt auf dem Schirm hatte, so wenig haben wir zuletzt an die sozialen Auswirkungen von Innovationen gedacht.
In der Vergangenheit gab es – etwa bereits im Bauhaus der 1920er Jahre – immer wieder vereinzelt Bestrebungen, die auch den sozialen Aspekt des Designs mitdachten, diese blieben jedoch insgesamt wenig beachtet.
Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen und globalen Transformationen, sollten vorhandene und neue Dienste auf deren soziale Auswirkungen untersucht und gegebenenfalls korrigiert werden. Ernsthaft verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln ist – leider noch – meist eher ein Sonderfall. Allerdings mit Potenzial zum echten Wettbewerbsvorteil. Das merken selbst Tech-Riesen. Amazon bietet zum Beispiel in einigen Märkten sogenanntes „No-Rush-Shipping“ an: Sie erhalten sogar noch einen Rabatt auf ihre nicht so eiligen Bestellungen. Und Google Maps USA berechnet standardmäßig die Route mit dem geringsten CO2-Fußabdruck – von der Sie natürlich abweichen dürfen.
Es sind übrigens nicht nur digitale Dienste, die von den Ansätzen des Social Centered Design profitieren. Die Macht der Standard-Einstellung kann hier eine große Rolle spielen und ist manchmal sogar nur eine Frage des Vorzeichens: in Frankreich, Schweden und Lettland etwa ist jeder Mensch grundsätzlich Organspender*in – es sei denn, es wird Widerspruch eingereicht.
Den Social Impact mitdenken
Es ist nie zu spät, die sozialen Auswirkungen Ihrer Produkte, Dienste und Prozesse zu berücksichtigen – idealerweise natürlich jedoch von Anfang an. Beschreiben Sie auch, wie wichtig Ihnen Society Centricity ist, d.h. mit welcher Priorität und Intensität Sie diese Ziele verfolgen wollen. Beziehen Sie aktive und passive, heutige und zukünftige Nutzer*innen in ihre Überlegungen ein.
Upfront:
Society-Centered-Goals werden vorab in Projektzielen definiert, im Verlauf konsequent eingefordert und je nach Priorität und Intensitätslevel umgesetzt.
In-between:
Gesellschaftszentrierte Lösungsansätze werden im laufenden Entwicklungsprozess eingesteuert, entsprechend bewertet und priorisiert und ggf. verworfen, modifiziert oder akzeptiert.
Post:
Untersuchen Sie bereits vorhandene Produkte und Services und überarbeiten oder modifizieren Sie sie.
Dafür können Tools und Methoden, die für den Entwurf von User Centered Designs genutzt werden, einfach um die Dimension „Gesellschaft“ erweitert werden. Beziehen Sie z.B. neben Unternehmenswerten und Geschäftszielen auch die Werte einer Gesellschaft in Ihre Betrachtungen ein. Oder entwerfen Sie Szenarios, die eine Gesellschaft mit und ohne das neue Produkt, bzw. den neuen Service modelliert. Welche Erkenntnisse würden Sie zum Umdenken motivieren?
Die gerade auf das Plateau der Produktivität geflutete KI-Welle ist vielleicht der eindringlichste Anlass, soziale Konsequenzen von Technologien, Produkten und Services von Anfang an in deren Entwicklung einzubeziehen.
Next: Environment Centered Designs
Der nächste – oder besser gleichzeitige – Schritt ist die Berücksichtigung der nicht menschlichen Stakeholder: Pflanzen, Tiere, Natur, Gewässer, also Umwelt und Klima. Die Gemeinwohlökonomie macht es vor: wirtschaftlich erfolgreich sein und dabei sozial und ökologisch verantwortlich handeln. Das Mode-Label Patagonia etwa bietet – ganz entgegen den Gepflogenheiten der Fashion-Industrie – an, Outdoorkleidung zu reparieren, statt wegzuwerfen. Bosch stellt in seinen Elektrogeräten den Energiesparmodus als Default ein.
Oh, und noch etwas: Verwechseln Sie Social Centered Design nicht mit einer neuen Möglichkeit von Greenwashing oder Wokewashing. Society und Environment Centered Design sind keine Marketing-Stunts – mündige User*innen entlarven den vorgeschobenen Purpose schnell und der folgende Shitstorm könnte Ihr letzter sein.
Quellen:
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