Femtech – Frauen und Technik
Heute bin ich näher am Wasser gebaut als sonst. Heute lässt mich die Frage meines Freundes, wo denn die Schere ist (wie schon seit den letzten 5 Jahren, oben links in der Schublade), nahezu aus der Haut fahren. Ein Blick auf eine App verrät, dass ich heute vielleicht einmal mehr durchatmen sollte, bevor ich den Mund aufmache. PMS-Zeit.
Klar könnte ich mir das nach all der Zeit denken. Klar könnte ich mir das auch in meinen Kalender schreiben. Aber ich nutze einfach wie sehr viele andere eine Zyklus-App. Von diesen Apps gibt es sehr viele. Die Icons sind oft Rosa oder mit Blümchen – klar, damit ich weiß, dass ich ne Frau bin – aber das ist ein anderes Thema.
Je nach Ausrichtung kann ich mit der App meinen Zyklus Tracken, Periodenblut untersuchen lassen (www.theblood.io), Verhüten oder eben an einem Kinderwunsch arbeiten. Je nach Variante kostenpflichtig oder mit Werbung. Da freut sich das Marketer-Herz. Femtech ist aber nur ein Unterbereich von E-Health, der sich heimlich still und leise in unseren Alltag geschlichen hat. Und heute nicht mehr wegzudenken ist. Auch sammeln diese Apps Daten – Daten, die helfen, den Gender-Data-Gap zu schließen und so neue und gezieltere Einblicke in die Frauengesundheit liefern.
Sport und Lifestyle
Schritte zählen ist so 2010. Tracking-Apps analysieren heute nicht nur, wie viel wir uns bewegen, sondern helfen uns auch aktiv, unsere Trainingsziele zu erreichen. Strava und Fitbit nutzen Algorithmen, um personalisierte Trainingspläne zu erstellen und fitter zu werden. Wieder andere Apps erinnern uns in regelmäßigen Abständen daran, ausreichend zu trinken. Besonders gut funktioniert das, wenn diese Apps nicht nur unseren Ehrgeiz, sondern auch unseren Spieltrieb ansprechen. Gamification ist ein großer Bestandteil dieser Apps. So kann man sich oft auch mit Freund*innen vernetzen, deren Ergebnisse sehen, sich gegenseitig anspornen oder zu einem Wettkampf herausfordern.
Auch für Arbeitgeber*innen werden diese Produkte zunehmend interessanter. Apps wie TeamFit oder likedminded sorgen für Abwechslung am Arbeitsplatz und wirken verspannten Rücken entgegen. Ob allein oder mit Kolleg*innen, am Schreibtisch oder nach Feierabend – niederschwellige Angebote wie dieses ermöglichen zumindest für den einen oder die andere den ersten Schritt Richtung mehr Bewegung.
Therapie
Manche Themen können wir nicht einmal bei einer Flasche Wein unserer besten Freundin anvertrauen. Weil uns die Worte fehlen, weil wir bestimmte Gefühle nicht in Worte fassen können. Weil es uns so scheinbar grundlos vielleicht schlecht geht. Uns plagt der Verdacht: eigentlich könnte nur eine Therapie helfen. Aber die Wartelisten sind schier endlos, bis man einen Platz ergattert, kann es Monate dauern. Aber was tun, in der Zwischenzeit?
Ein kleiner virtueller Roboter namens Woebot könnte helfen, die Zeit zu überbrücken. Hier setzt der Woebot an. Täglich kann man mit ihm schreiben. Ganz niederschwellig, hier und da gespickt mit Bildern von süßen Häschen und mit verhaltenstherapeutischen Tipps.
Andere Apps wie Calm oder 7mind werden konkreter und trainieren mit den Nutzer*innen das, was wir viel zu oft nur mit einem Augenrollen bedenken: Achtsamkeit. Mit unterschiedlichen Programmen oder Meditationen sorgen die Apps dafür, dass wir durchatmen können und uns auf andere Dinge konzentrieren denn auf die lange To-do-Liste, Stress mit den Nachbarn oder allgemeinem Grübeln. Mittlerweile haben auch Krankenkassen das Potential solcher Apps erkannt und übernehmen die Kosten. Geht es hierbei doch oft nicht nur um eine Behandlung, sondern auch Prävention. Sogar Unternehmen wie Outfittery entdecken die Vorteile für sich und werben in ihren Stellenanzeigen damit, die Kosten für Apps wie selfapy zu übernehmen.
Apps auf Rezept
Doch nicht alle Apps dienen der Prävention. Sie können uns auch unterstützen, wenn wir erkrankt sind, unsere Symptome oder Medikamenteneinnahme im Blick behalten müssen. Es gibt Apps wie Symptomate oder Ada, die mithilfe von KI eine Einschätzung von Symptomen ermöglichen und Empfehlungen für das weitere Vorgehen geben können. Sie können den Nutzer*innen dabei helfen, ihre Symptome besser zu verstehen und möglicherweise frühzeitig ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Apps wie Medisafe helfen Nutzer*innen dabei, ihre Medikamente zu verwalten und zu planen. Sie erinnern an die Einnahmezeiten, überprüfen mögliche Wechselwirkungen und können dabei helfen, die Medikation korrekt und sicher einzunehmen.
Eines lässt sich jedoch mit all diesen Apps nicht kleinreden: Deutschland ist – wenig überraschend – das Schlusslicht im internationalen Vergleich, wenn es um die Digitalisierung des Gesundheitswesens geht. Und dennoch gibt es sogenannte Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGa Verzeichnis), die Ärzt*innen verschreiben können. Doch über diese wird zu wenig informiert, sodass nicht einmal die Mediziner*innen von ihnen wissen.
In den USA werden bei der Behandlung von Kindern diverse „Serious Games“ eingesetzt. In einem davon durchlaufen betroffene Kinder durch den Weg der Besserung nach einer Chemotherapie. Ein anderes soll Kindern die Angst vor Spinnen auf spielerische Weise nehmen, wieder ein anderes kommt bei ADHS zum Einsatz. Auch für die Ausbildung von Ärzt*innen oder bei der Praxisgründung gibt es mittlerweile entsprechende Spiele.
Vorteile
Die Vorteile liegen also auf der Hand. Und das nicht nur im Kleinen, in unseren Smartphones für Privatleute. Auch im Bereich der Medizin als Ganzes ist KI ein Thema, das zahlreiche Vorteile verspricht. Sei es, weil eine KI mögliche Anomalien bei MRTs oder Röntgen-Aufnahmen schnell identifizieren kann, Analyse von Patientendaten und Erstellung von individuellen Behandlungsplänen oder aber einfach zur Prävention durch die Überwachung von beispielsweise Herzfrequenz Aktivitätsniveau oder eben auch zur aktiven Entspannung und Atemübungen bei Stress und Angst. Und glaubt man einer aktuellen PwC-Studie, so könnte es sich auch wirtschaftlich lohnen. Die Gesundheitsausgaben allein in Europa könnten in den kommenden zehn Jahren um einen dreistelligen Milliardenbetrag sinken, wenn durch KI die Früherkennung von Krankheiten und die Versorgung weiter vorangetrieben wird.
Nachteile
Einer der größten Nachteile drängt sich nahezu auf: Datenschutz. Noch ist unser Umgang mit KI oft durch Neugier geleitet. Gedanken darüber, was mit unseren Fragen, die wir der KI stellen, passiert – machen wir uns noch viel zu selten. Werden diese Fragen gespeichert? Was sagen sie über mich aus? Welche Nachteile könnten mir dadurch entstehen? Gerade in Bezug auf so sensible Daten wie zu unserer Gesundheit sollten wir uns intensiv damit beschäftigen, wo diese Daten laden oder gar gespeichert werden könnten. Nach der Entscheidung des Supreme Courts der USA, das Urteil Roe vs. Wade zu kippen und somit das Recht auf Abtreibung zu widerrufen, wurde beispielsweise in den USA die Aufforderung laut, jegliche Zyklus-Apps zu deinstallieren. Zu groß die Angst, dass die Daten plötzlich in den falschen Händen landen und die Nutzer*innen in Gefahr bringen könnte.
Und gerade, weil es so sensible Daten sind, braucht es oft mehr, als eine KI für die Beantwortung von Fragen. Hier braucht es Einfühlungsvermögen, Verständnis und somit menschlichen Kontakt. Die PwC-Studie beruhigt: Ersetzen wird KI menschliches Fachpersonal auf keinen Fall. Jedoch werden sich die Anforderungen verändern. Und auch weil eine KI sich mal irren kann. Diese Probleme der Ethik, Regulatorik und des Datenschutzes werden in dem Konzept Responsible AI zusammengefasst.
Fazit
Diese Anwendungen eint vor allem die vielen gesetzlichen Anforderungen, die an sie gestellt werden. Und das ist auch gut so – geht es doch um sehr private Inhalte und ein hohes Maß an Verantwortung. Keine der Apps und neuen medizinischen Anwendungsfälle soll medizinisches Fachpersonal ersetzen – das muss auch deutlich gemacht werden.
Für Unternehmen bietet die Branche grundsätzlich viele Ansatzpunkte, doch sind die Anforderungen enorm und auch das unternehmerische Risiko nicht zu unterschätzen. Nach wie vor gilt leider auch die DSGVO-Konformität als wahre Innovationshürde.
Quellen:
pwc.de
aerzteblatt.de
theguardian.com
ndr.de
t3n, Ausgabe 68 (3. Quartal 22)
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