Zugegeben, die Gründe für den Pflegenotstand lassen sich allein mit Marketing nicht beseitigen. Die Arbeitsbedingungen sind schwierig, kranke Menschen müssen jederzeit versorgt werden – auch an Feiertagen oder nachts. Und zwar auch dann, wenn nicht genügend Personal vorhanden ist. Dennoch können sich Arbeitgeber im Pflegesektor mit guten Ideen und Maßnahmen von der Konkurrenz abheben und auf die positiven Facetten des Berufs aufmerksam machen. Das Ziel sollte sein, den Teufelskreis zwischen Arbeitsverdichtung, Verlust der Arbeitgeberattraktivität und Personalmangel zu durchbrechen.
Wer mit Employer Branding das Ziel verfolgt, ein attraktiver Arbeitgeber für Pflegekräfte zu werden, muss sich vorab in deren Lage versetzen und sich gründlich mit ihren Bedürfnissen beschäftigen. Um glaubwürdig zu bleiben, sollten bestehende Mitarbeiter*innen von Anfang an mit ins Boot geholt werden. Was läuft gut? Was läuft weniger gut? Was kann der Arbeitgeber tun, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern? Eine gute Employer Branding Strategie wird von unten nach oben erarbeitet, nicht andersherum. Wichtig dabei ist es, realistisch zu bleiben. Wer den Fachkräften Versprechungen macht, die nicht eingehalten werden können, sorgt für Unzufriedenheit und schlechte Stimmung im Team. Das gilt auch für alle anderen Branchen.
Pflegespezifische Kriterien der Arbeitgeberattraktivität
Diverse Studien zeigen, dass die Attraktivität von Arbeitgebern branchenübergreifend meist anhand von ähnlichen Kriterien bewertet werden. Dazu gehören u.a. Kompetenz, Innovativität, Karrieremöglichkeiten, Entlohnung und Aufgabenvielfalt. Je nach Branche und Berufsgruppe unterscheiden sich die Kriterien lediglich marginal.
Pflegekräfte arbeiten allerdings in einer Umgebung, die sich komplett von anderen Berufen unterscheidet. Es ist also wichtig, sich gründlich mit der Zielgruppe und ihrer Arbeitsumgebung zu beschäftigen, um die richtigen Maßnahmen für ein erfolgreiches Employer Branding treffen zu können.
Auf der Basis von Mitarbeiter*innen-Befragungen konnten Kriterien ausfindig gemacht werden, die die Arbeitgeberattraktivität für Pflegekräfte steigern. Zu den pflegespezifischen Kriterien gehören:
Zeit haben
Personalmangel führt zu einem Kampf gegen die Zeit. Pflegekräfte wünschen sich genügend Zeit für qualitativ hochwertige Pflege und menschliche Zuwendungen. Außerdem wünschen sie sich pro Schicht eine halbe Stunde Pause, ohne dabei vom Telefon oder der Patientenklingel gestört werden. Sie hätten z.B. gern etwas Zeit, um mit Kolleg*innen über belastende Situationen sprechen zu können.
Familienfreundlichkeit
80 Prozent der Pflegekräfte sind weiblich, viele von ihnen haben Kinder und diese haben für sie oberste Priorität. Eine Lebensrealtität, die für viele nicht immer mit der Realität des Jobs aus Schichtdienst und Unterbesetzung einhergeht. Eine wichtige Rolle spielt daher z.B. ein familienfreundlicher Dienstplan, eine bereitgestellte Kinderbetreuung während der Arbeitszeit und spezielle Programme für die Elternzeit, um den Wiedereinstieg zu erleichtern.
Dienstplangestaltung
10 Tage durcharbeiten ohne Pause sind keine Seltenheit. Wer dann noch oft hin und her springt zwischen Früh- Spät- und Nachtdiensten, findet keinen Schlaf mehr und ist gestresst. Pflegekräfte wünschen sich Dienstpläne, die mit dem Privatleben vereinbar sind. Und sie haben keine Lust mehr auf das „Einspringen“ an freien Tagen. Respekt vor dem Privatleben und der individuellen Erholung der Mitarbeitenden ist hier gefragt.
Gesundheitsschutz und -präsention
Daten der Techniker Krankenkasse zeigen, dass Pflegekräfte durchschnittlich 23 Tage im Jahr krankgeschrieben sind. Damit liegen sie 8 Tage über dem Durchschnitt aller Berufstätigen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zu den Stressoren zählt das Heben und Tragen schwerer Lasten, die Schicht- und Nachtarbeit, die Arbeitsverdichtung und das Unterdrücken von Emotionen. Ressourcen sehen Pflegekräfte in der Vielfalt der Arbeit, dem Teamzusammenhalt und der Wertschätzung durch Vorgesetze und Patienten.
Wertschätzung
Wie anderen Fachkräften auch, fehlt es Pflegekräften leider noch viel zu häufig an Wertschätzung. Pflegekräfte wünschen sich einen respektvollen und wertschätzenden Umgang von Vorgesetzten, Sensibilität für die hohen Belastungen im Beruf und Mitspracherecht bei betrieblichen Abläufen. Besonders die streng hierarchischen Strukturen in vielen Krankenhäusern stellen noch immer ein Problem dar.
Pflegekräfte finden in fünf Schritten
Wer diese Kriterien kennt, hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Um aus den fünf Themenbereichen die richtigen Maßnahmen abzuleiten, ist Kreativität gefragt. Besteht vielleicht schon ein „Springer-Pool“, der flexible Arbeitszeiten ermöglicht und den Stationsmitarbeiter*innen den Rücken frei hält? Welche Angebote können die Gesundheit der Mitarbeiter*innen fördern?
1. Mitarbeiter*innen befragen
Zunächst ist die interne Kommunikation gefragt. Befragungen und Gespräche mit bestehenden Mitarbeiter*innen geben Aufschluss darüber, wo der Schuh drückt. Keine Panik, auch die Stärken des Arbeitgebers kommen dabei zum Vorschein.
2. Attraktivität steigern
Anhand der Ergebnisse werden die Kriterien der Arbeitgeberattraktivität bewertet, insbesondere die pflegespezifischen Kriterien werden dabei genau unter die Lupe genommen. Daraus werden dann Maßnahmen abgeleitet, um die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter*innen zu verbessern. Umso kreativer diese Maßnahmen, umso höher die Aufmerksamkeit!
3. Arbeitgebermarke formen
Gemeinsam mit Mitarbeiter*innen wird identifiziert, was den Arbeitgeber von anderen Arbeitgebern unterscheidet und was besser läuft als bei der Konkurrenz. Es wird eine Arbeitgeberpyramide konzipiert, die eine glaubhafte Arbeitgebermarke definiert und die Grundlage aller zukünftigen Kommunikationsmaßnahmen darstellt.
4. Arbeitgebermarke kommunizieren
Es ist kein Employer Branding, wenn niemand davon erfährt. Nachdem die Zielgruppen definiert wurden, wird die Arbeitgebermarke auf sämtlichen Kanälen kommuniziert. Durch gezielte Werbekampagnen wird die nötige Aufmerksamkeit geschaffen, damit der Arbeitgeber für potenzielle Bewerber*innen als unverwechselbar und attraktiv wahrgenommen wird. Die Kommunikation der pflegespezifischen Kriterien der Arbeitgeberattraktivität zeigt, dass die Bedürfnisse der Pflegekräfte vom Arbeitgeber wahrgenommen werden. Das schafft Vertrauen und ein Gefühl von Wertschätzung.
5. Bewerbungsprozess einleiten
„Post and Pray“ war gestern. Heute geht es darum, aktiv auf potenzielle Bewerber*innen zuzugehen und dabei die richtigen Kanäle zu nutzen. Besonders Social Media spielt dabei eine wichtige Rolle. Jede*r soll wissen, dass attraktive Stellen offen sind. Der Bewerbungsprozess muss dabei so einfach wie möglich gestaltet werden, um die wertvolle Zeit von Pflegekräften nicht zu verschwenden.
Demografischer Wandel trifft den Pflegesektor besonders hart
Die Zeit drängt. Die Auswirkungen des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt sind unumstritten. Die Babyboomer gehen langsam, aber sicher in Rente. Bis zum Jahr 2035 wird die Anzahl Erwerbstätigen um rund 5 Millionen sinken. Gleichzeitig sorgt der Trend zur Akademisierung dafür, dass heute weniger Menschen eine Ausbildung machen als früher.
Die Pflegebranche trifft der Demografische Wandel gleich doppelt: Zum einen gehen viele Pflegekräfte in absehbarer Zeit in Rente und zum anderen werden in den kommenden Jahren viele Menschen pflegebedürftig. Deutschland ist hinter Japan die zweitälteste Gesellschaft der Welt. Das Problem: Schon jetzt herrscht Pflegenotstand. Laut Christine Vogler, der Präsidentin des deutschen Pflegerats fehlen bereits 200.000 Pflegekräfte, um eine qualitative Pflege gewährleisten zu können. Und im Jahr 2030 werden ihren Rechnungen zufolge voraussichtlich 500.000 Pflegekräfte fehlen.
Fazit
Pflegeeinrichtungen müssen sofort handeln. Denn der Wettbewerb um Pflegekräfte wird in Zukunft noch stärker und um diese von sich zu überzeugen und nicht in den oben beschriebenen Teufelskreis zu kommen, müssen alle Karten des Personalmarketings gespielt werden. Die Kunst besteht darin, unkonventionell vorzugehen, um Aufmerksamkeit zu schaffen und um sich von der Konkurrenz abzuheben.
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