Das Duz-Dilemma

„Kann ich dir helfen?“ Diese nett gemeinte Frage eines freundlichen Verkäufers bringt 57 % der Deutschen auf die Palme. So viele halten laut einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL und ntv nichts davon, im Einzelhandel geduzt zu werden. 21 % mögen das „Du“, 22 % ist die Ansprache egal. Online dagegen ist Duzen inzwischen deutlich akzeptierter. Für 31 % der Befragten ist es okay, in den Sozialen Medien, auf Websites und Co. mit „Du“ angesprochen zu werden. 28 % finden es sogar besonders sympathisch. Eine deutliche Grenze ziehen alle Befragten bei Banken, Behörden, Ärzt*innen und Versicherungen. Von diesen Branchen, in denen es häufig um weitreichende persönliche Entscheidungen geht, erwartet die große Mehrheit eine förmliche Ansprache.

Trotz des gemischten Meinungsbildes entscheiden sich immer mehr Unternehmen dazu, das „Sie“ komplett über den Haufen zu werfen. Damit stellen sie ihre Corporate Language gehörig auf den Kopf. Denn ein ungefragtes „Du“ kann Nähe schaffen, aber auch vor den Kopf stoßen.

Viele wählen daher einen Mittelweg und folgen damit den Ergebnissen der Forsa-Umfrage. Auf der Website, den Social-Media-Kanälen und bei anderen an die Allgemeinheit gerichteten Kommunikationsmaßnahmen wird geduzt. In der direkten Ansprache entscheidet die Kundschaft selbst. Hier können Tools und Plattformen zur Hyperpersonalisierung künftig Lösungen schaffen: Kund*innen geben bei jedem Call, Messaging-Kontakt oder z. B. beim Abschließen eines Newsletter-Abonnements an, welche Ansprache sie bevorzugen.

Besteht diese Möglichkeit – wie etwa im Einzelhandel – nicht, ist Fingerspitzengefühl des Verkaufspersonals und eine kritische Einschätzung der Situation gefragt. „Wenn ein Kunde es als normal ansieht und auch erwartet, von einem Bankmitarbeiter gesiezt zu werden, dann führt die Ansprache in der Du-Form zu einer Unstimmigkeit, und das selbst, wenn der Kunde grundsätzlich nichts dagegen hat, geduzt zu werden. Ebenso kann es als störend empfunden werden, wenn ein junger Kunde in einem Sportgeschäft von einem gleichaltrigen Verkaufsmitarbeiter gesiezt wird, wenn hier ebenfalls die Erwartungen nicht erfüllt werden“, gibt eine Studie zur Kundenansprache im persönlichen Verkauf der Universität St. Gallen – ganz ungegendert – zu bedenken. Einen pauschalen Verkaufsvorteil bringe das Duzen nicht, auch nicht bei der jüngeren Zielgruppe, heißt es in der Studie weiter. Im Gegenteil: Die Gefahr, dass die informelle Anrede als unpassend wahrgenommen werde, liege höher, als dass Kund*innen sich am „Sie“ stören.

Unternehmen sollten vor dem Wechsel vom „Sie“ zum „Du“ testen, welche Wirkung verschiedene Anredeformen in verschiedenen Kommunikationskanälen bei verschiedenen Zielgruppen haben, so die Empfehlung der Forschenden.

 


Ungewöhnlich im seriösen Finanzsek­tor: Die DKB ist mit ihrer Kundschaft per „Du“.
(© Deutsche Kreditbank AG)

 


Auch das Traditionsunternehmen OTTO begrüßt seine Kundschaft inzwischen in Anschreiben mit „Hallo“ und dem Vorna­men. Bei Mahnschreiben wird allerdings weiterhin gesiezt.
(© Otto GmbH & Co KG)

 


Eine Befragung der Universität St. Gallen zeigt: Im persönlichen Verkaufsgespräch hat die formelle Anrede die Nase vorn.
(Quelle: Marketing Review St. Gallen 06/2021: „Kundenansprache im persönlichen Verkauf“)

Inklusive Sprache

Noch hitziger als die Duz-Debatte wird in Deutschland das Thema Inklusive Sprache diskutiert. Allem voran das Gendern. Dabei wird häufig außer Acht gelassen, wie viel ein * ein : oder ein _ bewirken kann. Nämlich auch Inklusion. Das Mitgemeintsein. Und das ist mehr als nur die Unterscheidung von Arzt und Ärztin, Mitarbeiter und Mitarbeiterin. Sondern eben auch alle dazwischen und außerhalb. Und genau daher ist es eben nicht inklusiv und ausreichend, wenn wir nur Damen und Herren ansprechen. Denn nur ein Zeichen mehr fügt einem Satz ein ganzes Spektrum hinzu. Unabhängig von Grammatik, die sich sowieso im Fluss befindet.


Fair und verständlich: Auch wenn inklusive Sprache nicht überall gesetzlich geregelt ist, brauchen Unternehmen eine Haltung dazu.
(© istockphoto.com/Halfpoint)

 

Zum Gendern verpflichet?

Auch das Argument, Gendern schade der Verständlichkeit, lässt sich entkräften. Eine österreichische Studie kam zu dem Ergebnis, dass Gendern sogar für Menschen verständlich ist, die Deutsch nicht fließend sprechen. Das Sternchen schnitt zusammen mit der neutralen Nennung (Team oder Personal) dabei sogar besser ab als der Doppelpunkt oder die neutrale Nennung mit „ende“ (Mitarbeitende). Eine Pflicht zum Gendern gibt es – trotz hartnäckiger gegenteiliger Behauptungen – nicht.

Man darf es aber – und kann sich dabei auf die Verfassung und die europäischen Grundrechte berufen, die Gleichberechtigung anstrebt. So auch im Saarland und Bremen. Hier ist das Gendern ausdrücklich erlaubt, und zwar mit Doppelpunkt. Anders sieht es in Schleswig-Holstein, Sachsen und Sachsen-Anhalt aus. Hier sorgt das Setzen eines Sternchens in der Schule gar für Punktabzug.

Doch Sprache sollte nicht nur inklusiv hinsichtlich einer sexuellen Orientierung sein. Sondern auch zugänglich. Verständlich. Hier kommt Leichte Sprache ins Spiel. Mittlerweile gilt sie gar als Varietät des Deutschen. 

Leichte Sprache öffnet Türen. Lässt Migrant*innen komplexe Formulare verstehen und so einfacher durch den Behörden-Dschungel navigieren. Sie richtet sich aber auch an Menschen mit Behinderungen, indem komplexe Sachverhalte mit kurzen Sätzen und einer durchdachten Struktur dargestellt werden. Ein bisschen wie SEO-Texte also. Und wenn wir ehrlich sind, sind viele von uns bestimmt auch hin und wieder froh, wenn man einen Text nicht dreimal lesen muss, um die Kernaussage zu identifizieren.

Darüber hinaus ist die IT-Barrierefreiheit für öffentlichen Stellen des Bundes, der Länder und der Kommunen gesetzlich vorgeschrieben. Und das gleich durch mehrere Stellen. Neben der Barrierefreie-Informationstechnik- Verordnung (BITV 2.0) nimmt vor allem das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz auch vermehrt Produkthersteller*innen und Dienstleister*innen ab dem 28. Juni 2025 in die Pflicht.

Wer soll sich das alles merken?

Höchste Zeit also, die eigenen Texte unter die Lupe zu nehmen. Dabei sind wir zum Glück nicht auf uns allein gestellt. Denn Verständlichkeit lässt sich prüfen. Sei es durch eine Testleserschaft oder durch ein Tool wie „TextLab“. Dieses Tool kombiniert gleich mehrere Indizes der Verständlichkeit und gibt wertvolle Hinweise. Seien es zu lange Sätze oder zu viel Fachjargon. Für Leichte Sprache ist das allerdings noch nicht ausreichend. Hier bedarf es einer Prüfung durch Expert*innen und Zielgruppe.

Auch beim Gendern helfen Tools. Das Browser-Plugin „Language Tool“ scannt schon im Browser unsere Texte und weist uns darauf hin, wo vielleicht ein Sternchen fehlen könnte. Praktischerweise wirft „Language Tool“ auch einen Blick auf unsere Zeichensetzung und die Rechtschreibung. Je nach Wunsch auch im akribischen Modus, mit Vorschlägen für Synonyme oder gar stilistischen Anmerkungen für unterschiedliche Textarten.


Tools wie „TextLab“ helfen dabei, Sprachrichtlinien einzuhalten. Die Arbeit von ausgebildeten Texter*innen ersetzen sie nicht.
(© istockphoto.com/courtneyk)

Corpororate Language in Zeiten des Chatbots

Die Einführung und der Siegeszug von Chatbots hat anhaltenden Einfluss darauf, wie Marken mit ihren Kund*innen kommunizieren. Ob Behörde, Energieversorger oder Online-Shop, Chatbots sind für Unternehmen nicht nur eine interessante Alternative zu klassischen Service-Kanälen wie Kontaktformularen, Hotlines, Mails oder FAQ-Bereichen. Sie bieten auch die Möglichkeit, die eigene Corporate Language erlebbar zu machen.

Aus dem Monolog von Markenbotschaften, Texten, Claims und Headlines wird ein Dialog mit der Marke selbst. Die Voraussetzung: sorgfältig gepflegte Konversationsrouten und Skripts im buchstäblichen Einklang mit den Corporate-Language-Regeln der Marke. Komposition mit Variablen, wenn man so will. Auf diese Weise lässt sich die eigene Markenidentität weiter mit Leben füllen und das Markenerlebnis der Kund*innen noch intensivieren. Corporate Language unter Berücksichtigung ihrer Implikationen für Chatbots werden so zu einer sinnvollen Ergänzung für jede Corporate Identity. So weit, so vielversprechend.

Anders als Chatbots auf der eigenen Website und im eigenen unternehmerischen Wirkungsbereich werfen konversationsbasierte Websuchen via Bing, ChatGPT und Co. allerdings auch Fragen zur Kontrolle der eigenen Markensprache auf. Chatbots formulieren Antworten basierend auf vorprogrammierten Skripts – in diesen Fällen unter Zuhilfenahme Künstlicher Intelligenz. Dies bedeutet, dass sie möglicherweise nicht immer genau die Sprache verwenden,die eine Marke bevorzugen würde oder für die eigene Kommunikation festgelegt hat.

In einigen Fällen können sie sogar eine Sprache verwenden, die im Widerspruch zur gewünschten Markenidentität steht, z.B. hinsichtlich Genderregeln. Die Inhalte einer Marke bleiben so zwar Quelle, ob die Botschaft im Laufe der Wiedergaben jedoch verwässert wird, entzieht sich der Kontrolle der Marken. Umso wichtiger, auf den eigenen Kanälen eine hohe Dichte an relevanten Informationen in entsprechenden Formulierungen zu hinterlegen, aus denen sich die Bots bedienen können. Es wird deutlich: Chatbots sind genau der Punkt, an dem sich Suchmaschinenoptimierung, Userzentrierung und Corporate Language berühren.

 

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Quellen:
https://www.capito.eu/genderstudie/
rnd.de
www.aktion-mensch.de

Jana sorgt als ausgebildete Social-Media-Managerin und Expertin für Public Relations und Newsletter-Marketing bei New Communication dafür, dass ihre Kunden im Rampenlicht stehen. Als Fachfrau für Krisenkommunikation, Influencer Relations und Investor-Relations trifft sie immer den richtigen Ton. Kein Wunder, dass die studierte Anglistin und Skandinavistin privat dem medialen Getöse gern mal den Rücken kehrt und in Norwegen Schnee- statt Shitstorms die Stirn bietet.

Alex ist ein Mann mit vielen Talenten. Er ist Creative Director für Text. Berater für digitale Kommunikation. Uni-Absolvent in Geschichtswissenschaft und Philosophie. Vollblut-Nerd. Papa. Früher mal Song-Schreiber. Und noch früher ein Kind der 90er in Nordwestmecklenburg. Pures Glück also, dass er bei uns und nicht in einem Roman von Heinz Strunk gelandet ist.

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